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Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)

Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)

Titel: Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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Erdplatz
gestellt worden. Es gibt nur einen einzigen Wasserhahn für alle Anwohner, und Strom
gibt es überhaupt nicht. Die Mutter findet es gar nicht schön, hier zu wohnen. Aase
auch nicht. Sie hat die Mutter schon einmal in der Nacht weinen gehört, als der
Wind von der See durch die Ritzen der Bretter blies und die Dachlatten laut klapperten.
Die ganze Familie hat nur noch einen Wohnraum, einen Schlafraum und eine Küche.
Der Lokus ist durch eine dünne, undichte Holzwand von der Küche abgetrennt und es
riecht sehr unangenehm.
    Die Baracken,
in denen die Eltern der beiden Mädchen wohnen, stehen direkt nebeneinander. Zwischen
den beiden Holzhütten sind nur wenige Meter Platz. Aase stellt ihr Fahrrad neben
die Eingangstür und nimmt den Ranzen vom Gepäckträger.
    »Bis nachher!«,
ruft Damaris, winkt ausgelassen und schiebt ihr Rad ein Haus weiter. Ihre Mutter
sitzt auf der untersten Stufe der Treppe in der Sonne, putzt die Schuhe von Herrn
Mølby und guckt neugierig, wer gerade in die leerstehende Baracke gegenüber einzieht.
Ein großer Lastwagen steht vor der offenen Eingangstür, genau so einer, mit dem
auch Aase und ihr Bruder und die Eltern hier angekommen sind. Der dröhnende Dieselmotor
lässt im Umfeld die lockeren Scheiben vibrieren. Aase grüßt mit einem Kopfnicken
die neuen Nachbarn, die ihre Möbelstücke von der Ladefläche in den Innenraum schleppen.
    Schade,
niemand zum Spielen dabei, stellt das Mädchen enttäuscht fest, als sie die zwei
größeren Jungen zwischen den Erwachsenen entdeckt. Aber ein kleiner Hund läuft laut
kläffend hinter ihnen her. Aase versucht ihn herüberzulocken, doch das Tier beachtet
sie nicht.
    »Komm endlich
rein«, hört sie die Stimme der Mutter. »Es gibt Kartoffelsuppe. Und beeile dich,
du musst gleich das Essen auf die Baustelle bringen!«
     
    Winzige Partikel schweben wie dichter
Nebel in der Luft. Hose, Schuhe, Brust, Hände und Gesicht von Jesper Stræde sind
mit einer grauen Zementkruste bedeckt. Er arbeitet im Akkord, sein nackter Oberkörper
ist mit kleinen Rissen und alten Narben von früher überzogen, die er sich beim Fischen
geholt hat. Der tägliche Ablauf im Befestigungsbau der Deutschen ist allerdings
noch anstrengender als die Knochenarbeit eines Fischers. Im Laufe des Tages scheinen
die Zementsäcke immer mehr Gewicht zu bekommen. Die Armmuskeln sind kurz davor zu
reißen, und jedes Mal, wenn er den Rücken beugt, tritt die Wirbelsäule wie ein knotiges
Seil deutlich unter der Haut hervor. Auf seiner Stirn stehen Schweißperlen, sammeln
sich zu prallen Tropfen, stürzen die Wangen hinab und ziehen dunkle Streifen über
den Staub. Immer wieder, wenn er einen neuen Sack in einen der Aufzugseimer entleert,
die ununterbrochen zu den drei Mischmaschinen auf dem Holzgerüst hinaufgezogen werden,
wirbelt die nächste Staubexplosion in die Luft, weht der schmierige Schmutz über
das Gelände und überdeckt alles. Jesper Stræde steht mitten drin in den dichten
Wolken aus Staubpartikeln, die Schleimhäute in Nase und Rachen sind geschwollen.
Sein Husten klingt wie das trockene Kläffen eines Hundes, und seine Gedanken wirbeln
in seinem Kopf, grau wie der Zement, die sorgenvollen Gedanken an Malthe, seinen
Sohn, der seit zwei Wochen nicht mehr nach Hause gekommen ist und dessen Brief jemand
gestern Nacht unter der Barackentür durchgeschoben hat.
     
    Liebe Eltern,
    was ich in der
kurzen Zeit, seitdem ich von euch weg bin, alles erlebt habe, ist kaum zu beschreiben.
Je länger ich bei meinen neuen Freunden in der Stadt lebe, zwischen all den fremden
Menschen, die hier schon immer gewohnt haben, umso mehr glaube ich an unsere gerechte
Sache. Ich weiß, wovon ich rede, ich habe mittlerweile mit unterschiedlichen Deutschen
gesprochen, die mit ihren stumpfen, blauen Augen in den dänischen Himmel starren
und damit ihre Dummheit verdecken. Es ist durch die Bank ein unverschämtes Pack,
aufdringlich und unangenehm. Deutsche sind wie eine reife Frucht, sagen meine Kumpel,
sie brauchen nur noch angestochen zu werden. Und dann haben wir über die Strafe
diskutiert, die sie erleiden müssten. Und einer stellte die Frage: Wer hat den Mut,
das Gewehr an die Wange zu legen und sie gnadenlos niederzuknallen? Keiner gab eine
Antwort, keiner im Widerstand will Menschen töten. Doch ich glaube, irgendwann stößt
der Mensch auf etwas, für das es keinen Platz in dieser Welt gibt. In so einem Moment
ist keine Zeit für zaghafte Angst, dann muss die Tat begangen werden,

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