Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
liegt schweißgebadet auf seinem zerwühlten
Laken. Er starrt in die Dunkelheit, bis er realisiert, dass die Schreckensbilder
nicht wirklich waren. Erlöst kann er sie in Gedanken fassen: Bernhard Wicki, die
Brücke. Ein Anti-Kriegsfilm, den er mit zwölf Jahren gesehen hat.
Er nimmt
die angstbesetzten Gefühle mit unter die Dusche, kann sie nicht wegspülen und ist
verwundert, wie sehr Annas Nachricht auf dem Anrufbeantworter ihn aufgewühlt hat.
Eine Ahnung steigt auf, die Ahnung von der Dimension eines Traumas, mit dem sich
sein Vater ein Leben lang herumgeschlagen haben musste.
Der Hauptkommissar
sucht sein Handy, findet es auf dem Küchentisch und steckt es in seine Jackentasche.
Dabei ertasten die Finger das Papier der Journalistin. Neugierig zieht er es heraus,
entfaltet es und streicht es auf dem Küchentisch glatt. Und wieder bricht die Vergangenheit
unerwartet in seine Gegenwart, trifft ihn wie der Alptraum der Nacht:
»Dem Landmann
ist es früher auch schon schlecht ergangen. Jetzt liegen die Verhältnisse aber anders.
In alten Zeiten hatten die Juden viele Fürsten in der Tasche, die ihre Lasten auf
die Bauern abwälzten, wodurch sogar Kriege entstanden, die für die Bauern ergebnislos
verliefen. Die traurigen Zeiten von Graf Caprivis überstand das Landvolk, weil der
Feind seine herrschende Stellung von heute nicht hatte. Das jüdische Kapital beherrscht
Amerika und diktiert die Preise. Die Zersplitterung der Kräfte im Lande fördert
auch das parlamentarische System, das nur dazu führte, zersplittert und unterjocht
zu werden.«
Was ist
denn das? Swensen schaut fassungslos auf den Text der Fotokopie. Das hat der Kreuzhausen
senior verzapft? Mannomann, das ist Antisemitismus vom Feinsten! Angewidert stopft
er den Zettel in die Jackentasche, verlässt das Haus und steigt in seinen Polo.
Er sitzt unentschlossen hinter dem Steuer, ein diffuses Gefühl hält ihn davon ab,
den Motor zu starten und die Strecke nach Husum einzuschlagen. Er besinnt sich auf
das Gespräch mit der Asiatin, das er auf dem Friedhof geführt hat. Davor hatte er
das Gefühl gehabt, als wolle die junge Frau vor ihm abhauen. Am Friedhofstor war
er ihr in den Weg getreten.
»Kripo Husum,
Hauptkommissar Swensen.«
»I don’t understand!«
»German Police! Inspector Swensen, I have some questions!«
Die Asiatin
schaut verschämt auf den Boden. »Es ist wegen Oleander? Weil er ermordet wurde?«
Ihr Englisch ist perfekt.
»In welchem
Verhältnis standen Sie zu dem Toten?«
»Wir kannten
uns.«
»Ich nehme
an, dass Sie ihn gut kannten, sonst wären Sie nicht zu seiner Beerdigung gekommen.
Woher kannten Sie Herrn Eschenberg?«
»Aus Japan,
wir sind uns das erste Mal vor Jahren auf Okinawa begegnet. Wer in der Surfer-Szene
aktiv ist, begegnet sich irgendwann irgendwo in der Welt wieder.«
»Sie sind
aus Japan?«
»Nein, ich
bin in Dänemark geboren.«
»Wie haben
Sie von dem tragischen Tod erfahren?«
»Von Surfern,
Freunde aus Flensburg haben mich angerufen.«
»Es sind
noch mehr Personen aus Dänemark hier, nicht wahr?«
»Ich kenne
nur Freja Sjøqvist.«
»Die rotblonde
Frau? Jeans, schwarzes T-Shirt?«
Sie nickt,
schaut zur Seite, als wäre ihr die Frage unangenehm.
»Die Frau
mit den grauen Haaren, kennen Sie die auch?«
»Nein, die
sehe ich zum ersten Mal.«
»Wissen
Sie, in welchem Verhältnis Frau Sjø …«
»Sjøqvist!«
»Sjøqvist
… in welchem Verhältnis sie zu Herrn Eschenberg stand?«
»Sie waren
ein Paar, soweit ich weiß.«
»Sie kennen
Frau Sjøqvist aber auch persönlich?«
»Entfernt,
nicht besonders. Man sieht sich beim Surfen.«
»Aber Sie
wissen von der Beziehung?«
»Sie waren
schon zusammen, als ich Oleander auf Okinawa begegnet bin.«
»Sind sie
verheiratet?«
»Nein, noch
nicht.«
»Noch nicht?«
»Es wird
gemunkelt, dass Freja ein Baby erwartet.«
»Ein Kind?
Wirklich? Ein Kind von Herrn Eschenberg?«
»Keine Ahnung!
Ich weiß nicht, ob es wirklich stimmt! Es wurde darüber geredet, unter Surfern.«
»Wir werden
es überprüfen.«
»Sagen Sie
nicht, dass ich es gesagt habe!« Die Stimme der Asiatin klingt ängstlich. »Freja
mag mich nicht, das spüre ich. Es ist auch nur ein Gerücht, ich möchte nicht …«
»Bleiben
Sie ganz ruhig, Miss …?«
»Misugi!«
»Miss Misugi,
wenn es die Ermittlungen nicht erfordern, bleibt Ihre Aussage vertraulich. Und jetzt
brauche ich noch Ihre Adresse und Telefonnummer.«
Swensen startet den Motor, fährt
in entgegengesetzter Richtung
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