Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
sich auf die Lippen, damit es keinen
Ärger gibt.
Der Vater
bleibt mürrisch hinter seinem Teller Suppe sitzen, während die Mutter wie von Sinnen
einen Teller aus dem Schrank kramt.
»Möchtest
du etwas Suppe, Kind? Du bist ja ganz schmal im Gesicht!«
»Nein, Mutter,
ich habe keinen Hunger.«
»Hast du
endlich genug von dem Unsinn?«, fragt der Vater, als wäre seine Zunge schwer wie
Blei. Er legt den Suppenlöffel mit einem Knall auf den Tisch.
»Was wir
machen, ist kein Unsinn, Vater«, sagt Malthe mit ruhiger Stimme. »Aber es ist nicht
die Zeit, darüber zu streiten. Ich bin nur hier, um die Juden in der Siedlung zu
warnen. Die Deutschen wollen alle Juden in Dänemark verhaften.«
»Woher willst
du denn so was wissen?«, entgegnet der Vater schroff. »Es gibt so viele Gerüchte
in diesem Land, es wird so viel geredet, davon kann man nicht einmal die Hälfte
glauben!«
»Aber diesmal
ist die Lage wirklich ernst, das müsst ihr mir glauben. Man hat uns angerufen, gestern
Abend, eine Widerstandsgruppe aus Kopenhagen hat uns gewarnt. Der Oberrabbiner Marcus
Melchior hat beim Gottesdienst in der Synagoge vor einer Deportation der dänischen
Juden gewarnt. Die Information kommt von einem deutschen Offizier, der hat es bei
einem aus der Regierung durchsickern lassen. Schon morgen soll es losgehen, morgen
am jüdischen Neujahrsfest Rosch Haschanah. Die Deutschen werden bestimmt in die
Siedlung kommen, alles nach Juden absuchen. Die Rosens aus unserem Dorf, wisst ihr,
wo ich die finden kann? Sie müssen gewarnt werden!«
»Die sind
hier in der Siedlung, Junge«, sagt die Mutter. Sie presst ihre Lippen zusammen,
hat plötzlich kleine rote Flecken am Hals. »Sie sind … sie wohnen gleich am Ende
der Straße. Oh, mein Gott! Was machen wir denn jetzt, Jesper! Es sind noch andere
Juden hier. Gegenüber … direkt drüben, da wohnt Familie Abrahamowitz. Sie haben
zwei Jungen! Oh, mein Gott! Die können doch nicht alle versteckt werden, in unseren
kleinen Baracken! Wenn dieser Bechgaard von der Zivilverteidigung das spitzkriegt,
wird der uns bei den Deutschen verpfeifen.«
»Morgen
müssen sie unbedingt versteckt sein!«, beschwört Malthe. »Das organisieren wir noch
heute Nacht. Aber auf die Dauer ist das viel zu gefährlich, hier in der Siedlung.
Es wird bald Fluchtwege nach Schweden geben, mit Booten über das Kattegat.«
»Was für
Boote?«, fragt der Vater. »Woher sollen die Boote kommen?«
»Fischerboote!
Es gibt eine Menge Fischer, die Menschen rüberbringen wollen«, versichert Malthe.
Einen Augenblick herrscht reglose Erstarrung. Malthe sieht seinen Vater eindringlich
an. »Was ist mit unserem Boot, willst du uns nicht dabei helfen?«
Der Vater
trommelt unmerklich mit den Fingern auf dem Tisch. Die Mutter sendet ihm ermutigende
Blicke. Dann hat sie Tränen in den Augen, streift nervös ihre Schürze glatt.
»Du hast
recht mein Sohn, wir können da nicht einfach zusehen«, sagt der Vater wie aus der
Tiefe eines Brunnens. »Es ist unsere verdammte Menschenpflicht zu helfen!«
Aase kann
durch den Spalt erkennen, dass ihre Mutter erleichtert ausatmet, das Gesicht zu
strahlen beginnt, und ehe das Mädchen noch reagieren kann, zu ihr in den Schlafraum
stürzt. Die erwartete Strafpredigt, warum sie noch immer wach sei, bleibt aus.
»Zieh dich
an, Kind, schnell!« Die Mutter ist wie von Sinnen, die Hände bewegen sich fahrig
zu den Worten. »Wir müssen umräumen, hier drinnen. Wenn du angezogen bist, gehst
du zu den Abrahamowitzs von gegenüber und sagst ihnen, sie möchten sofort zu uns
kommen, es gibt sehr Wichtiges zu besprechen.«
Aase ist
augenblicklich auf den Beinen. Es ist aufregend, genauso wie sie es im Heft des
Bruders gelesen hat. Blitzschnell schlüpft sie in ihre Kleidung. Ich werde es den
Deutschen schon zeigen, denkt sie übermütig und hört die Worte des Bürgermeisters,
den sie so bewundert, aus der kleinen Stadt in dem Roman, den Oberst Lanser verhaften
will:
»Wenn ich
dem Volk sage, es soll nicht kämpfen, dann wird es traurig sein, aber es wird kämpfen.
Wenn ich ihm sage, es soll kämpfen, dann wird es froh sein, und ich, der ich kein
sehr tapferer Mann bin, werde mein Volk ein wenig tapferer gemacht haben.«
Ich will
auch tapfer sein, denkt Aase und läuft hinüber zu ihrem Bruder, der sie in die Arme
schließt.
Kopenhagen: Freitag,
1. Oktober 1943
Polizeioberwachmeister
Rasmussen teilt um 20.00 Uhr mit, dass 20 große deutsche Mannschaftswagen in einer
Kolonne den
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