Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
Freihafen verlassen.
Polizeioberwachmeister
Toft vom Revier 2 berichtet, dass ca. 20 Wagen mit grünen Polizeisoldaten durch
Strøget fahren. Man meint, es gelte den Juden.
Polizeioberwachmeister
Rasmussen meldet um 21.37 Uhr, dass sämtliche Ausfallstraßen jetzt von Deutschen
besetzt sind. Sie halten Fahrzeuge an und durchsuchen sie.
Das Revier 2 informiert
um 22.10 Uhr, dass eine Aktion in der Købmagergade begonnen hat, in der eine Kette
quer durch die Straße gebildet wird. Kleine Gruppen Deutscher durchkämmen die Häuser
und kommen mit zivilen Personen wieder heraus. Ein deutscher Major sagt einem dänischen
Polizisten vom Revier 4, die Aktion sei allein eine deutsche Angelegenheit und sie
sollen sich nicht einmischen. Die Fernsprechverbindung wird unterbrochen.
Es ist kurz nach sieben, die Sperrzeit
der Nacht ist beendet, als aus verschiedenen Baracken der Siedlung Gestalten aus
den Türen huschen und in dem nahe gelegenen Wald verschwinden. Die aufgehende Sonne
dringt durch das Unterholz und wirft ihren diffusen Strahlenschein über das Wasser
des kleinen Sees. Auf der Lichtung davor steht ein Pferdewagen. Der kleine Nathan
Abrahamowitz tritt vorsichtig hinter einem Baumstamm hervor und hält seinen Geigenkasten
hoch in die Luft, das Erkennungszeichen. Der Kutscher winkt herüber. Die kleine
Schar Menschen verlässt den schützenden Wald, eilt mit ihren Koffern und Taschen
in den Händen auf das Gespann zu und klettert auf die Ladefläche. Die Männer, Frauen
und Kinder hocken sich gekrümmt zwischen einige Strohballen und ziehen notdürftig
eine bereitliegende Plane über sich. Die Jungen fragen ängstlich die Eltern, wo
es hingeht und wann sie zurückkommen. Die zucken wehmütig mit den Achseln.
»Wenn uns
Männer in Uniformen anhalten«, erklärt Malthe vom Kutschbock aus, ohne sich umzudrehen,
»dann sagt ihr gar nichts und lasst nur mich mit ihnen sprechen, verstanden! Wenn
man euch anspricht, sagt ihr nur ›Kanitverstan‹, sonst kein Wort, immer nur ›Kanitverstan‹.
Und versteckt eure Koffer und Taschen unter dem Heuballen hinter mir.«
Malthe lässt
die Peitsche knallen. Die klobigen Kaltblüter setzen sich in Bewegung, und der Wagen
schaukelt über dem unebenen Waldboden. Die Herbstsonne ist ungewöhnlich warm, die
durchgeschüttelten Menschen schwitzen unter der Plane. Das Gespann erreicht einen
breiten Feldweg. Es geht vorbei an rechtwinkligen Feldern mit gradlinig gezogenen
Ackerfurchen. Die Schatten der Laubbäume am Wegesrand kriechen über den Schatten,
den das Fuhrwerk hinter sich herzieht. Der Versuch, sich den Weg zu merken, scheint
unmöglich. Landstraßen, kleine Feldwege, die weißen Fachwerkhöfe, ihre Nebengebäude,
gleichen einander. Unter der Plane wird kein Wort gesprochen, die stampfenden Schritte
der Pferde und das Knarren der Holzplanken verlieren sich in der Zeit, lullen die
beiden Flüchtlingsfamilien in ein trügerisches Gefühl von Sicherheit. Auf der Ladefläche
liegt Stroh, darauf hocken Herr und Frau Rosen und Herr und Frau Abrahamowitz, ihre
beiden Söhne an ihrer Seite. Der Tag geht zur Neige, die Schatten werden länger,
als der Pferdewagen von der Landstraße abbiegt und auf einen schattigen Innenhof
fährt. Das efeubewachsene Bauernhaus mit seinen Wirtschaftsgebäuden und dem Hühnerhof
wird von Zwillingsbrüdern bewirtschaftet, die sie jetzt willkommen heißen.
»Hier seid
ihr erst einmal sicher«, beruhigt Malthe die beiden Familien. »Morgen früh hält
ein schwarzer Wagen an der Straße und bringt euch bis zum Fischerhafen, wo das Boot
bereitliegt.«
Nachdem
Herr Rosen, Herr Abrahamowitz und seine Söhne die Koffer und Taschen ins Haus getragen
haben, führen die Zwillingsbrüder die sechs Flüchtlinge zu den Zimmern unter dem
Dach. Hanne Rosen ist so erschöpft, dass sie in der Kleidung auf dem Bett einschläft.
Wie wird
es wohl sein, wenn man tot ist, geht es Herrn Rosen durch den Kopf. Er hört ein
fernes Summen. Das sind die Bombenflugzeuge, die sehr hoch in Richtung Süden fliegen.
Ohne ein Gefühl von Mitleid stellt er sich die ohrenbetäubenden Einschläge vor,
die Erschütterung des Bodens, wenn die tödliche Last eine der deutschen Städte trifft.
Er lässt die Vision von zerstörten Häusern vor seinem inneren Auge entstehen, sieht
die Reste der Wände, die wie karieszerfressene Zähne im offenen Mund des Krieges
stehen, sieht die staubbedeckten Menschen, die kopflos zwischen zersprungenem Glas
im eigenen Leid umherirren.
Es
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