Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
geschätzte 236 000 andere Iren auch? Kannst du dir vorstellen, was du angezeigt bekommst, wenn du so was wie »Sean O’Shady« bei Google eingibst? Oder bei der amerikanischen Einwanderungsbehörde anfragst, Officer, Entschuldigung, ich suche da einen Sean oder Shaun oder Shawn O’Shady, oder vielleicht auch John, John wie Joe oder Joseph – könnten Sie mir da bitte mal eine Aufstellung aller Personen dieser Namen machen, die bei Ihnen letztens so eingewandert sind? Und was, wenn sie mittlerweile geheiratet und einen anderen Namen angenommen haben? Oder überhaupt nicht gefunden werden wollen? Und von diesen Personen soll ich sieben ausfindig machen – habe ich das richtig verstanden?«
Schatten nickte. Nickte zu allem, nickte immerzu. Siebeneisen vermutete, dass er sich dieses Gespräch auf dem Weg zurück aus Irland bereits exakt ausgemalt hatte. Und deswegen auch schon genau wusste, wie das weitere Prozedere aussehen sollte.
»Ich stelle mir das folgendermaßen vor: Der Fette Hecht wird unser Hauptquartier. Und jeden Donnerstag ist Kommandobesprechung.«
Schatten sah zu Walburga hinüber, die blass auf einem Stuhl unter den ausgestopften Rebhühnern saß. Kein Wunder, dachte Siebeneisen, dem das schon vor einigen Minuten aufgefallen war. Er selbst war immerhin schon dreimal verreist, Walburga aber hatte Oer-Erkenschwick sicher niemals in ihrem Leben verlassen, noch nicht einmal zum Einkaufen in Dortmund. Ihr musste dieses Gespräch vorkommen wie ein Kinofilm, in dem Woody Allen auf eine Expedition wie bei Indiana Jones vorbereitet wurde. Außerdem war sie bestimmt schrecklich aufgeregt, weil diese ungeheuerliche Aktion von ihrem Wirtshaus aus gesteuert werden sollte. Schatten zwinkerte ihr zu. Worauf Walburga selig lächelte. Worauf Schatten mit der Darlegung seines Masterplans fortfuhr.
»Unser lieber Siebeneisen ist also sozusagen unser Mann vor Ort. Er findet meine Miterben und erklärt ihnen, dass sie sich alle in Dublin einfinden müssen. Wenn er alle zusammenhat, kommt er zurück.«
»Tatsächlich?« Für einen Augenblick hoffte Siebeneisen, dass ihm möglicherweise ein wenig Sarkasmus helfen würde. Was leider nicht der Fall war. Schatten überging die Bemerkung einfach.
»Ich bin mir sicher, dass dich dein Chef für ein paar Wochen freistellen wird, wenn du ihm die Sache erklärst, da fällt ja dann auch für seine Postille die eine oder andere schöne Story ab. Dann bekommst du von mir eine gut gepolsterte Kreditkarte und fliegst nach Australien. Und während du dort unterwegs bist, recherchiere ich von hier aus für dich. Sobald ich Neuigkeiten habe, melde ich mich bei dir. Am besten, du schaust gleich heute Abend mal in deinen gelben Geografie-Heften nach, was du über das Outback findest.«
Schatten schnaufte. Wipperfürth nickte. Siebeneisen versuchte sein Glück.
»Und was soll Wipperfürth bei der ganzen Sache machen?«, fragte er. Nicht, dass er Wipperfürth mit dabeihaben wollte, wenn er im australischen Busch nach einer Wurstbuden-Verkäuferin suchte, aber vielleicht konnte er mit so einer Frage Zeit gewinnen. Zeit für Gegenargumente. Zeit für Meinungsänderungen. Zeit für den Kometen, der gerade in 800 000 Kilometer über dem Fetten Hecht an der Erde vorbeisauste, sich zu einem pfeilgeraden Absturz zu entschließen.
»Wippi bleibt hier bei mir«, sagte Schatten leider augenblicklich, »hier wird ja einiges an Recherchen zu erledigen sein. Außerdem brauche ich spirituellen Beistand.«
Wipperfürth nickte. »Om Mani Padme Om«, sagte er.
Na klar sagte er das.
Zu Hause stand Siebeneisen lange vor dem Badezimmerspiegel und betrachtete ein blasses, ach was: fahles Gesicht. Dann nahm er einen Zahnstocher und fischte den Krümel oben links hinten zwischen den Zähnen heraus.
3
(Australien, zwei Wochen später.)
Es rauschte ganz leise, ganz sanft, es rauschte, als wolle es bloß niemanden aufwecken, das Rauschen. So ein Meer kann ja fürchterlich wüten, kann grollen und donnern und an Land krachen, als wolle es keinen Stein auf dem anderen lassen. Es kann Schiffe versenken und ganze Landstriche atlantismäßig absaufen lassen – es kann allerdings auch so tun, als könne es kein Wässerchen trüben. Dann liegt es da wie geplättet, die Sonne spiegelt sich in ihm, und in Bewegung gerät es nur, weil Gezeiten, Erdrotation und was da sonst noch alles so mitspielt es aus seiner Lethargie reißen. Wenn das Meer so drauf ist, dann schickt es seine Wellen in langen, flachen Schüben
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