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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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diesem Land textmarkergelbes Klebeband verwendete, war Siebeneisen schleierhaft.
    Er war auf dem Weg in die Simpson Desert in Queensland, wo der Boxzirkus gerade unterwegs war. Wipperfürth hatte das im Internet herausgefunden, in welchem Forum auch immer. Wahrscheinlich gab es genug Wahnsinnige, die sich für die Termine eines Unternehmens interessierten, dessen Beschäftigungsfeld man euphemistisch mit »Zähne ausschlagen« umschreiben konnte. Telefonisch war die Truppe nicht erreichbar, was Siebeneisen nicht wunderte – sein Handy hatte jeglichen Netzkontakt bereits eine halbe Stunde hinter Cairns verloren. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als in diese Simpsonwüste hineinzufahren und Sheila O’Shady zu finden. Sheila! Siebeneisen fragte sich, wie ein Volk, das Künstler wie Joyce und Beckett hervorgebrachte hatte, seine Kinder mit solchen Vornamen ins Leben hinausschicken konnte. Aber dann wiederum konnte man ebenso darüber nachdenken, warum die ersten weißen Australier eine vor sich hin bröselnde Landschaft wie die hier nach ihrer liebreizenden Regentin zu Hause benannt hatten. Und im Buckingham Palace war der Queen damals dann bestimmt erzählt worden, der zu ihren Ehren getaufte Teil der neuen Kolonie sei ein lieblicher Landstrich, der sich nur mit Müh und Not vom Garten Eden unterscheiden ließ.
    Abgesehen von seiner Küste war dieses Queensland vor allem eins: leer. Natürlich waren auf Siebeneisens Landkarte Siedlungen eingezeichnet, ziemlich viele sogar, aber darauf, dachte er, sollte man besser nicht hereinfallen, das war ihm schon nach ein, zwei Stunden klar geworden. Die meisten Käffer, durch die er bislang gefahren war, bestanden nur aus einer Handvoll Häusern, die sich irgendwann im 19. Jahrhundert in pionierhafter Vorfreude einer Staubpiste in den Weg gelagert hatten und seitdem darauf warteten, dass das übrige Australien nachkam. Was offensichtlich noch nicht geschehen war. Deswegen hatten Orte wie Birrieboorie oder Waltman’s Creek auch nur zwischen 14 und 37 Einwohner, eine Kneipe, eine Tankstelle und beeindruckende Wegweiser am Ortsausgang. Auf denen stand dann Tröstliches wie »Sydney: 2 433 km« oder »Achtung: Keine Tankmöglichkeit auf den nächsten 1 116 km«. Noch nie hatte Siebeneisen während einer Autofahrt so oft mit dem Finger gegen das Glas vor der Benzinanzeige geklopft.
    Und noch nie hatte er auf einer Autofahrt so viel gegrübelt. Mit jedem Hinweisschild und seiner astronomischen Entfernungsangabe war sich Siebeneisen einsamer und verlorener vorgekommen. Was machte er hier eigentlich? Allein, in einem Mietwagen, am anderen Ende der Welt? Bislang war es ihm mehr oder weniger gelungen, den Gedanken an die mögliche Dauer seiner Mission zu verdrängen, jetzt aber, wo das Reisefieber verflogen war und die erste Aufregung verschwunden – da beschlich ihn das vage Gefühl, sich vielleicht zu viel zugetraut zu haben. Gut möglich, dass dieser Trip nicht Wochen, sondern Monate dauerte. Und nicht nur viel länger, sondern auch viel komplizierter werden würde als Wipperfürth und Schatten sich das an jenem Donnerstag im Fetten Hecht zusammenfabuliert hatten. Siebeneisen fiel die schlaflose Nacht nach dem besagten Abend wieder ein. Er war unruhig durch seine Wohnung gelaufen, hatte in alten National-Geographic -Ausgaben nach Australien-Reportagen gesucht und später lange Zeit am Wohnzimmerfenster gestanden, er wohnte im sechsten Stock eines Mietshochhauses. Oer-Erkenschwick hatte unter ihm gelegen wie eine leblose, graue Masse. Bei Sonnenaufgang hatte Siebeneisen dann gewusst, dass er es wagen sollte. Da draußen warteten schreckliche Viren, giftige Schlangen, Vulkanausbrüche und Lebensmittelvergiftungen auf ihn, das stand fest. Aber vielleicht ja auch eine Welt, von der er bislang nur gelesen hatte.
    Und jetzt war er da, in der Welt. Und hoffte, dass sein Benzin reichen würde, um in den nächsten Outback-Ort zu kommen. Der Mietwagen machte nicht den besten Eindruck, laut Tacho war das Auto bereits seit 189 000 Kilometern auf den Straßen Australiens unterwegs. Wipperfürth hatte es reserviert und Siebeneisen bei ihrer Verabschiedung am Flughafen umständlich erklärt, dass er sich auf gar keinen Fall zusätzliche Versicherungen aufschwatzen lassen sollte – und ja keine höhere, bessere und damit teurere Fahrzeugklasse. Anschließend hatte ihm Schatten feierlich die versprochene Kreditkarte überreicht, mit der sämtliche Reisekosten bezahlt werden sollten. Und dann

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