Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
geargwöhnt hatte. Er merkte, wie er sich allmählich besser fühlte. Richtig heiß war es auch schon, obwohl es erst kurz nach sechs am Morgen war. Frühestens in drei Stunden konnte er den Mietwagen abholen, mit dem er ins Outback fahren wollte. Selbst nach einem ausgedehnten zweiten Frühstück war da noch viel Zeit. Siebeneisen beschloss, seinen ersten Tag in Australien mit einer Runde im Meer zu beginnen.
Das Schild las er erst, als es fast schon zu spät war. Siebeneisen hatte seine Brille zusammen mit Hose, Hemd und Schuhen auf dem Hotelhandtuch weiter hinten am Strand deponiert, deswegen hielt er das Schild für einen dieser überflüssigen »No lifeguard on duty!«-Hinweise, wie sie zu Hause neuerdings sogar an Anglerteichen mit 43 Zentimeter Wassertiefe herumstanden. Als ob man das nicht eh sehen könnte, dass an diesem menschenleeren Strand niemand auf einem Ausguck hockte! Selbst bei seiner Kurzsichtigkeit ging das! Trotzdem machte er auf dem Weg ins Wasser einen kleinen Schlenker hinüber. Und jetzt stand er dort und las:
Achtung! Extreme Lebensgefahr! Hochgiftige Quallen (März–Oktober), Weiße Haie (Oktober–März) und Salzwasserkrokodile (ganzjährig)!
Siebeneisen las das, und er las es noch einmal, bevor er beschloss, auf sein Debüt im australischen Meer zu verzichten. Durch den tiefen Sand stapfte er missmutig zurück zu seinen Sachen. Und stellte fest, dass Dinge in der Hitze eines australischen Morgens größer aussahen, als sie in Wirklichkeit waren. Allerdings erklärte das nicht, weshalb sich seine Sachen nun auch zu bewegen schienen. Als Siebeneisen näher kam und mehr Einzelheiten sehen konnte, erkannte er eine ziemlich fette Echse, die offensichtlich an seinen Kleidern herumschnüffelte. Siebeneisen ging schneller. Und noch schneller. Er begann zu laufen, so gut das ging in diesem Sand. Die Echse entdeckte ihn. Sie ließ etwas aus ihrem Maul fallen und stakste erstaunlich schnell davon, wobei sie mehrmals den Kopf zu ihm umdrehte. Als er an seinem Handtuch angekommen war, wusste Siebeneisen, dass er noch vor dem Frühstück einen Laden finden musste, in dem es Klebeband gab. Damit ließ sich ein durchgebissener Brillenbügel vielleicht reparieren.
Gut acht Stunden später rollte sein kleiner Mietwagen vor ein Motel in Tamboorini. Es war zwar noch keine fünf Uhr am Nachmittag, aber Siebeneisen fielen die Augen zu, immer wieder, und wenn er sie während der Fahrt erschrocken aufgerissen hatte, war da garantiert eines dieser suizidal veranlagten Kängurus am Straßenrand zu sehen gewesen, das nur darauf gewartet haben zu schien, ihm vor den Kühler zu hopsen (die Selbstbeteiligung bei der Mietwagenversicherung war möglicherweise genau deshalb so astronomisch hoch – in anderen Teilen der Welt kaufte man davon komplette Autos). Die letzten Stunden war er durch eine Landschaft wie aus der Genesis gefahren, rot und staubig und mit einer Handvoll jämmerlicher Büsche gesprenkelt. Hin und wieder hatten ein paar Rinder in der Gegend herumgestanden, die ausgesehen hatten wie aus einem Dokumentarfilm über Biafra. Auf beinahe jedem der verkrümmten, blattlosen Bäume hatte ein dürrer Vogel gehockt. Sonst war da nichts gewesen, gar nichts. Nur Weite, bis zum Horizont.
Auf den endlosen Flügen hatte Siebeneisen an die zwanzig Australien-Reportagen gelesen, die er sich aus seinen National-Geographic -Jahrgängen kopiert hatte, deswegen überraschte ihn diese Ödnis nicht wirklich. Das australische Outback, wusste er, umfasste – salopp gesagt – ganz Australien, wenn man mal von den Städten absah, die sich an die Küste krallten. Sobald man deren äußere Vororte hinter sich hatte, eröffnete sich ganz schnell diese alttestamentarische Szenerie jenseits von Gut und Böse, ein Land von einer Endlosigkeit, die selbst den meisten Einheimischen Angst einflößte: zu heiß, zu groß, zu gewaltig. Wenn man einem Australier in Sydney oder Melbourne sagte, man wolle ins Outback, würde der einem sehr viele Gründe aufzählen, weshalb man besser in der Stadt blieb. Und noch mehr Gründe, weshalb er selbst noch nie da draußen war und auch nie dorthin möchte, am Samstag ist ja auch immer Rugby, no, thank you very much . Siebeneisen hatte das am Morgen im Hotel ähnlich erlebt: Die Rezeptionistin hatte ihm angeboten, sein Zimmer bis 22 Uhr freizuhalten – für den Fall, dass er umdrehte und zurückkam. Außerdem hatte sie wissen wollen, ob er versehentlich auf seiner Brille geschlafen habe. Wer in
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