Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
ausnahmsweise.)
Sie musste bei dem Lied jedes Mal an Winnetou denken. Was hatte dieser Pierre Brice damals gut ausgesehen! Dabei war er Franzose und überhaupt kein Apache! Der Sänger ihrer Lieblingsband erwähnte allerdings einen anderen Häuptling, die Stelle kam jetzt gleich, kurz vor dem Refrain, sie konnte sich den Namen nie merken: Schinnkatschkuck? Walburga trocknete das letzte Glas ab und reckte sich, um es in den oberen Schrank zu stellen. Sie sang laut mit, während sie mit dem Staubtuch über die ausgestopften Rebhühner wischte. In dem Lied ging es um geplatzte Kinderträume und das, was von ihnen einmal übrigblieb. Um kleine Jungs mit stolzen, furchteinflößenden Indianernamen, die als Erwachsene dann nichts anderes machten, als das Familienerbe zu verwalten. Oder dröge Bürojobs erledigten und nach Feierabend zu viel Feuerwasser tranken – um all so was jedenfalls, die eine oder andere Andeutung verstand sie nicht richtig aber das war bei begnadeten Autoren ja schließlich immer so, oder?
Walburga bewunderte Menschen, die solche Texte verfassen konnten. Das waren Künstler! Und wie sich das alles reimte! Sie verstand nicht, warum ihre Stammgäste diese Musik nicht leiden konnten. Siebeneisen rastete jedes Mal aus, wenn er donnerstags in den Fetten Hecht kam und Die Hits Pur liefen. Wipperfürth und Schatten moserten zwar auch regelmäßig, aber die waren in letzter Zeit meist so intensiv in ihre Planungen vertieft, dass sie nur selten bemerkten, dass die CD immer wieder von vorne lief. Waren spät dran heute Abend, die beiden. Walburga sah auf die Uhr: Schon Viertel vor zehn. Sie schaltete den Fernseher an, gleich gab es Nachrichten. »Nur zwei Mann gibt es noch bei uns, die letzten Mohikaner«, sang sie frei erfunden mit, während sie beschwingt mit einem Eimer Kartoffelchips aus dem Vorratsraum tänzelte, »die sehen sich oft und essen Erdnussflips!« Sie holte den Handstaubsauger aus dem Unterschrank und ging hinüber zur Tipp-Kick-Platte, die Schatten und Wipperfürth bei ihrer letzten Partie vollgekrümelt hatten.
Wegen des Getöses der kleinen Maschine verpasste sie dann den Anfang der Meldung. Die Nachrichtenfrau mit den unwirklich blauen Augen war diese Woche an der Reihe, das hatte sie beim Saugen aus den Augenwinkeln gesehen – wo dieses Volksfest allerdings gefeiert wurde, hatte sie nicht mitbekommen. Walburga schaltete den Handstaubsauger aus und schaute gebannt auf den Bildschirm über dem Tresen, auf dem gerade tausende Raketen in einen nachtschwarzen Himmel aufstiegen. Wo gab es denn so ein prächtiges Feuerwerk? Sie griff zur Fernbedienung. Die Stimme der Nachrichtenfrau wurde lauter.
»… vermuten die Behörden, dass mindestens 150 Tonnen Sprengkörper aus bislang ungeklärter Ursache explodierten.«
Ach herrje, dachte Walburga, das war überhaupt kein geplantes Feuerwerk, offenbar war da irgendwo in Asien ein Unglück passiert. Sie sah Menschen in Panik, heranrasende Feuerwehrautos und Krankenwagen, deren Besatzungen sich einen Weg durch die Schaulustigen bahnten. Überall lagen große Eisbrocken. Immer wieder flackerten Blaulichter über die Szenerie.
»Offenbar befanden sich zum Zeitpunkt des Unglücks nur zwei Personen in der Eisskulpturenausstellung, weil sich alle anderen Besucher des Festivals in der großen Halle nebenan aufhielten, wo sie auf die Fortsetzung eines zuvor unterbrochenen Konzertes warteten. Die Ausstellungshalle wurde bei den gewaltigen Explosionen vollständig zerstört. Während Rettungsmannschaften zurzeit in den Trümmern nach der Leiche eines der Besucher suchen, überlebte der zweite das Unglück wie durch ein Wunder unverletzt.«
Oh Gott, dachte Walburga, war das schrecklich. Da besuchten die Menschen am Ende eines langen Arbeitstages so einen Ort, um ein wenig abzuschalten, und dann passierte eine solche Katastrophe. Sie blickte gebannt auf den Bildschirm. Gerade führten Sanitäter einen Mann zu einem der Notarztwagen. Er sah furchtbar mitgenommen aus und humpelte stark, hatte aber offenbar seinen Lebenswillen nicht verloren: Als er an den Fernsehkameras vorbeikam, hielt er den Daumen in die Höhe.
Walburga hatte plötzlich das Gefühl, sich mitten in einem Wattebausch zu befinden. Sie spürte den Boden unter ihren Füßen nicht länger, das Fernsehbild war plötzlich in etlichen Ausführungen neben- und übereinander zu sehen, und in ihren Ohren rauschte eine Art integrierte Toilettenspülung. Den Satz »Es handelt sich dabei um einen
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