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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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Deutschen aus Oer-Erkenschwick« hörte sie nur noch wie einen Nachhall aus weiter Ferne, weil die Welt um sie herum jetzt ein wahnwitziges Karussell war und das Rauschen aus ihren Ohren in jede Zelle ihres Körpers zu fließen schien, und wenn nicht just in diesem Moment Schatten und Wipperfürth in den Fetten Hecht gekommen wären und sie aufgefangen hätten, bevor sie auf den Tipp-Kick-Tisch fallen konnte – wer weiß, ob hier je wieder eine Partie ausgetragen hätte werden können.
    Auf dem Fernsehbildschirm über dem Tresen leitete die Nachrichtenfrau mit den unwirklich blauen Augen zum Wetter über.

50
    (Qingdao, VR China, drei Tage später.)
    In der Hotel-Lobby hatte ein kleines Symphonie-Orchester Platz genommen, das passierte im Grand Palace an jedem Nachmittag. Die Streicher stimmten soeben das Lied vom Eisberg an, was ebenfalls an jedem Nachmittag passierte und nichts mit den Ereignissen zu tun hatte, die Qingdao zum ersten Mal seit Ende der Kolonialherrschaft auch in Deutschland Schlagzeilen bescherten.
    »Titanic! You like?« Die Dame an der Rezeption verneigte sich. Siebeneisen war in den vergangenen beiden Tagen zu einer lokalen Berühmtheit avanciert. Immer neue Radio- und Fernsehstationen waren in der Lobby aufgetaucht, und Siebeneisen wusste längst nicht mehr, wie oft ihm die Geschichte seiner Flucht mittlerweile entlockt worden war. Wie er intuitiv gehandelt hatte, als plötzlich Rauch aus den Schießscharten des Festungsturms quoll, in den O’Shadys Zigarre geflogen war. Wie er sich an seinen morgendlichen Besuch in der Eisskulpturenhalle erinnerte und in welcher Richtung des Labyrinths aus Gebäuden, Mauern und Statuen sich der Ausgang befand. Wie sie um ihr Leben gerannt und geschlittert waren, er voraus, O’Shady hinter ihm. Nur die letzte Brücke lag dann noch vor ihnen, eine filigran geschwungene Konstruktion über einen gefrorenen Seerosenteich, die sich für das Gewicht von Elvis anno ’81 dann leider als etwas zu filigran erwies. Siebeneisen war schon am anderen Ufer, als er den Schrei hinter sich hörte, und das Geräusch von splitterndem Eis unter einer großen Last. Und dann waren auch schon die ersten der insgesamt 150 Tonnen Böller und Raketen explodiert, die für das größte Feuerwerk in der Geschichte Qingdaos bereitlagen.
    »Ja, sehr schön. Ich liebe Kate Winslet. Klasse Hintern.« Siebeneisen lächelte die Rezeptionistin an. Er hatte sich daran gewöhnt, dass niemand in diesem Land ihn verstand und dass er sagen konnte, was er wollte.
    »Titanic! I like!« , bestätigte die Rezeptionistin. Siebeneisen erkundigte sich nach Nachrichten für ihn. Es waren keine da. Oder man verstand nicht, was er wollte. Er humpelte zu den Sitzecken in der Mitte der Lobby hinüber. Beim Verlassen des Eispalastes war seine Brille beschlagen, und er war gestolpert und prompt in eine Garküche gefallen, die offensichtlich schwangere Tintenfische verkaufte, jedenfalls fühlte es sich beim Abstützen mit der Hand so an. Bei diesem Sturz hatte er sich den linken Fuß verstaucht. Zusammen mit der Stichwunde in seiner rechten Gesäßhälfte ergab das eine Kombination, die einen nachgerade grazilen Bewegungsablauf garantierte.
    Er ließ sich in das weiche Leder eines Sessels sinken und sah sich die Fotos in einer der ausliegenden Zeitungen an: Berlusconi singend in einer Talent-Show, Merkel, wie sie Peer Steinbrück herzte, irgendwelche Parteikader in Peking. Und in der Mongolei hatten sie offensichtlich etwas Wichtiges in der Steppe gefunden, auf dem Foto waren jubelnde Menschen zu sehen, die um einen aufgegrabenen Hügel herumstanden. Siebeneisen legte die Zeitung zurück und schaute sich um. Nachmittags war immer einiges los in der Lobby des Grand Palace, High Tea nannte die Hotelleitung den kleinen Kaffeeklatsch zu Orchesterklängen – offenbar war man bereit, auch nichtpreußische Elemente in den Alltag der ehemaligen deutschen Kolonie einzubinden. Zwei emsige Kellner servierten Schwarzwälder Kirschtorte und schenkten Kaffee aus. Die Hälfte der Gäste schrie in ihre Handys. Das Orchester steigerte verzweifelt die Lautstärke und gab nun eine schmissige Version einer Melodie zum Besten, die in Deutschland einmal unter dem Titel »Bring uns Regen, Pan!« bekannt war, untermalt vom Klingeln der Handys, die sich mit pentatonischen Melodien meldeten oder einer Tonfolge, die eindringlich an die Alarmsirenen aus diversen U-Boot-Filmen erinnerte. Worauf ihre Besitzer ein donnerndes »Wei! Wei!« in

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