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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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Türkei als Kaschmir deklariert worden war. Oder Polyester. O’Shady erkannte das auf den ersten Blick, da musste er die Stola noch nicht einmal auspacken.
    »Wir haben die in allen Farben. Die sind so viel weicher als die aus irischer Schafswolle!« Der Verkäufer brachte einen weiteren Karton Schals heran.
    »Das liegt an der Chemie.«
    »Chemie?« Der Verkäufer schüttelte den Kopf. »Das sind reine Naturprodukte! Die kommen aus der Mongolei!«
    »Die kommen nicht aus der Mongolei, sondern aus der Türkei«, sagte Pat O’Shady, der wiederum gerade aus der Mongolei gekommen war, nicht aus der Türkei.
    »Soll ich Ihnen zeigen, wie man Original von Fälschung unterscheiden kann? Lassen Sie uns kurz vor die Tür gehen ins Licht gehen.«
    Draußen war eine große, dunkle Wolkenfront gerade dabei, dem sonnigen Teil des Dubliner Spätsommertags den Garaus zu machen. Pat O’Shady nahm eine der Stolen aus dem Plastik. Er ließ sie den Händler anfassen.
    »Wie fühlt sich das an? So, als könne es eine Frau in einer Jurte wärmen? Wenn draußen ein eisiger Wind pfeift, ihr Mann auf der Jagd ist und das Heulen der Hunde sich auf einmal wie das von Wölfen anhört? Oder eher glatt und kühl?«
    »Aber hier auf dem Etikett steht doch: 100 % Pashmina!« Der Händler war sichtlich erschüttert. Nicht, weil die eine Stola in seinen Händen eine Fälschung sein sollte. Eher, weil er über fünftausend davon auf Lager hatte. In allen Farben.
    »Pashmina ist aber keine Bezeichnung für Wolle, so nennt man lediglich diese Stolen. Das ist so, als wäre in einem Rugbytrikot ein Schild mit »100 % Rugbytrikot« eingenäht. In den allermeisten Fällen enthält ein Schal mit einem solchen Etikett kein einziges Gramm Kaschmirwolle.«
    »Was? Woraus sind die denn dann gemacht?«
    »Das kann ich Ihnen nicht sagen, ich bin kein Kunststoffspezialist. Polyester vielleicht. Oder Viskose. Darf ich?«
    Pat O’Shady strich mit der Hand über den Schal, bis er ein paar lose Fäden in der Hand hielt. Dann holte er ein Feuerzeug aus der Hosentasche und hielt es unter die Fäden. Sie verschwanden in einer großen Stichflamme. Der Händler sah ihm entsetzt zu.
    »Polyester. Hundert Prozent.« Der Mann tat ihm leid.
    »Wollen Sie die besten Kaschmirprodukte der Insel im Sortiment?«, fragte er, als er mit ihm nach drinnen ging. »Die besten Europas? Schals und Pullover so weich, dass die berühmtesten Models mit nichts anderem auf der Haut aus dem Haus gehen würden?«
    Der Verkäufer schaute ihn fragend an. In seinem Gesicht stand so etwas wie Hoffnung. Pat O’Shady dachte an die großen Augen der Kaschmirziegen.
    »Ich glaube, wir könnten ins Geschäft kommen.«
    Connor O’Shady wurde von der Sonne geweckt, die sich irgendwann an diesem Spätsommermorgen am Turm der St. Patrick’s Kathedrale vorbeigeschoben hatte und nun durch das Hotelzimmerfenster auf sein Gesicht schien. Es dauerte einen kurzen Moment, bis er wusste, wo er war. Gleich darauf registrierte er das leicht berauschende Gefühl, das er am Morgen nach einem gelungenen Auftritt fast immer verspürte. Er kannte das Dead Cromwell noch aus seiner Jugend. Schon damals war er dort ein paar Mal aufgetreten, meistens mit Musikern aus seiner Gegend. Mit Paul Hewson zum Beispiel, den er noch aus der Grundschule kannte und der in Glasnevin nur zwei Straßen entfernt gewohnt hatte. Paul war kein besonders guter Gitarrist gewesen damals. Aber dann hatte er zusammen mit ein paar Jungs von seiner weiterführenden Schule eine eigene Band gegründet. Connor O’Shady lächelte, als er in seinem Hotelbett an den Tag dachte, an dem Paul Hewson ihm feierlich erklärt hatte, er wolle ab jetzt nicht mehr Paul Hewson, sondern Bono genannt werden. Bono! Was für eine Marketingidee! Er hatte sofort gewusst, dass Paul einmal berühmt werden würde. Und? Hatte er sich da etwa geirrt? O’Shady schlug die Bettdecke beiseite. Er stand auf und ging zum Fenster. Dublin glühte, als leuchte es von innen heraus. Sein Gesicht spiegelte sich in der Scheibe. Er würde diesen Verband jetzt abnehmen, entschied er. Die noch nicht verheilten Kratzer und Schrammen konnte er ja mit Pflastern abkleben, und wenn er zwanzig Stück brauchen würde.
    Die Nuss fest in beiden Händen und den Kopf mit der Mähne neugierig ein Stück nach links geneigt, saß das Goldene Löwenäffchen auf seinem Lieblingsast und betrachtete den Mann, der es betrachtete. Kenneth O’Shady hatte noch nie ein Goldenes Löwenäffchen gesehen. Was

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