Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
vielleicht sieben oder acht Jahre alt, und irgendwann nahm er all seinen Mut zusammen und kam zögernd zu ihr herüber. Zuvor hatte er sie angestarrt und mit seinem Vater geflüstert, der daraufhin auch gestarrt hatte, und dann hatten beide leise miteinander diskutiert, bis der Vater den Sohn mehr oder weniger in ihre Richtung schob. Jetzt stand der Junge mit hochrotem Kopf vor ihr, während der Vater in sicherer Entfernung blöd grinste.
»Entschuldigen Sie … sind Sie vielleicht … sind Sie vielleicht Cate Blanchett?«
Sheila O’Shady legte Messer und Gabel neben den Teller mit der Blutwurst, die sie für eine mögliche Verwendung im australischen Outback testete. Sie hatte sich daran gewöhnt, dass sie mit der Schauspielerin verwechselt wurde, das passierte immer wieder. Oft war das einfach nur nervend, manchmal auch ganz amüsant. Hin und wieder tat es ihr sogar leid, nicht diejenige zu sein, für die man sie hielt. In Situationen wie dieser jetzt zum Beispiel.
»Leider nein. Ich weiß, dass ich ihr sehr ähnlich sehe, aber ich bin es nicht.«
Der Junge betrachtete sie intensiv. Er schien jetzt nicht mehr aufgeregt zu sein. Eher skeptisch.
»Sie reden aber genauso wie Cate Blanchett!«
»Naja, das liegt daran, weil wir beide in Australien leben.«
Sheila lächelte den Jungen an. Was Kindern alles auffiel! Wahrscheinlich hatte der Kleine jeden Film mit der Blanchett gesehen, den er sehen durfte. Bestimmt hing ein Poster von ihr über seinem Bett.
» Robin Hood fand ich total doof.« Der Junge hat offenbar beschlossen, ihre Einwände zu ignorieren und sie weiterhin für Cate Blanchett zu halten. Wahrscheinlich hatte er in einer dieser Kinozeitschriften gelesen, dass berühmte Schauspieler gerne so tun, als liege eine Verwechslung vor.
»Aha. Hat der dir nicht gefallen? Ich fand ja, dass sie toll aussah als Lady Marian. Was ist denn dein Lieblingsfilm mit ihr?«
Sheila O’Shady hatte diesen Dialog so oder so ähnlich bereits etliche Male geführt, deswegen kannte sie die Antwort bereits. Alle Jungs in diesem Alter liebten die Der-Herr-der-Ringe -Trilogie. In der spielte die Blanchett eine ätherische Elbenkönigin mit beinahe durchsichtiger Haut, die in jeder ihrer Szenen ausschließlich zu flüstern schien. Gabrielle? Gahandrial? Sie schnitt sich noch ein Stück von der Blutwurst ab, um dem Jungen Zeit zu lassen. Die er nicht brauchte.
»Zwei abgewichste Profis!«
Sheila O’Shady verschluckte sich beinahe an ihrer Wurst. Sie trank hastig einen Schluck Wasser, um Schlimmeres zu verhindern.
»Zwei ABGEWICHSTE!!! Profis!« , wiederholte der Junge jetzt lauter. Wahrscheinlich dachte er, sie habe ihn beim ersten Mal nicht verstanden.
»Der ist doch erst ab 18 freigegeben!« Mehr fiel ihr nicht ein. Und als sie den Satz beendet hatte, ahnte sie auch noch, dass sie ihn viel zu laut gesagt hatte. Möglicherweise hatte sie ihn auch gerufen. Laut gerufen.
Der kleine Junge stand vor ihr und grinste frech. Die Unterhaltungen an der Wursttheke und an den kleinen Imbisstischen verstummten. Sheila O’Shady bemerkte das und beschloss, ihre Blutwurst aufzuessen und alles andere jetzt einfach zu ignorieren. Vor allem diesen Jungen da vor sich.
Der Junge da vor ihr hatte nun offenbar genug davon, dass ihn sein Schwarm so doof behandelte: Er streckte Sheila die Zunge heraus und begann vor ihrem Stehtisch herumzuhampeln. Dabei sang er aus voller Kehle.
»Cate Blanchett stopft sich fette Blutwurst rein, Cate Blanchett stopft sich fette Blutwurst rein!«
Sheila O’Shady hatte plötzlich das Gefühl, dass alle um sie herum sie anstarrten. Das war, kurz bevor die Blitzlichter von mindestens 27 Handykameras den kleinen Metzgerei-Imbiss erhellten.
»Wir haben hier auch noch ganze wunderbare Pashmina-Schals!«
Der Verkäufer witterte das Geschäft des Spätsommertages und schleppte einen großen Karton heran. Pat O’Shady hatte bereits bezahlt. Einen Stapel Decken aus original irischer Schafswolle in traditionellen Mustern, Mitbringsel für Ganzorig vom »Zentralbüro Wolle und Molkereierzeugnisse« und dessen Sekretärin; er hatte die beiden kennengelernt, als er von Ulan Bator aus nach Dublin geflogen war. Und für die Schamanen der Gurragtschaas und der Barlas, deren Segen er für das geplante Projekt in der Steppe benötigte. Er setzte seine Einkaufstüten ab, nahm eine der eingeschweißten Stolen in die Hand und warf sie einen Moment später zurück in den Karton: Fälschungen. Viskose, die irgendwo in der
Weitere Kostenlose Bücher