Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
nicht weiter verwunderlich war, weil der Arbeitsplatz des Rangers und der Lebensraum des Tieres einen Kontinent weit auseinanderlagen. Außerdem war die Art in freier Wildbahn so gut wie ausgestorben – die komplette Population wurde auf nur noch knapp tausend Tiere geschätzt. Im Dubliner Zoo aber war es sehr erfolgreich gelungen, die Affenart in Gefangenschaft zu züchten. Irgendwann würde man vielleicht damit beginnen können, einzelne Tiere wieder in ihren ursprünglichen Lebensraum in Brasilien auszuwildern. Falls der Regenwald dort dann noch existierte. Kenneth O’Shady schnitt dem kleinen Äffchen eine Grimasse. Das kleine Äffchen pfefferte blitzschnell seine Nuss in O’Shadys Richtung. Das Geschoss prallte mit einem lauten Klock von der Glasscheibe ab, unmittelbar vor seinem linken Auge.
O’Shady war keine drei Tage fort aus Afrika und vermisste es schon ganz fürchterlich. Letzte Nacht hatte er von der Savanne im Nationalpark geträumt. Sein Landrover stand auf einer Lichtung, über die eine Prozession von Tieren zog. Neben ihm hatte die dicke Monica gesessen und sich die Nägel lackiert, immer passend zu den vorbeilaufenden Tieren, Zebrastreifen, Leopardenpunkte, Giraffenflecken, ein Muster ging in das andere über, beinahe surreal sah das aus. Aber Monica hatte nicht ihre Fingernägel, sondern ihn angeschaut, immer nur ihn. O’Shady war froh, dass er aufwachte, bevor sich seine Situation im Traum verschlimmerte. Als er sah, dass draußen die Sonne schien, entschied er sich für seine Rangerkleidung, auch das deutete er im Nachhinein als Zeichen seines Heimwehs. Dabei würde seine Reise insgesamt kaum eine Woche dauern. Heute Mittag war der Termin bei diesem Notar. Für morgen hatte er ein Treffen mit dem Direktor einer großen Bank vereinbart. Übermorgen um diese Zeit würde er schon wieder in einem Flugzeug nach Johannesburg sitzen.
Kenneth O’Shady schlenderte Richtung »Afrikanische Savanne«, zumindest stand das so auf dem Schild. Hinter einer Mauer mit aufgesetztem Geländer rupfte ein großes Nashorn saftiges irisches Gras aus dem Boden und gab dabei zufriedene Grunz- und Schmatzgeräusche von sich. O’Shady war schon vorbei an dem Tier, als er stutzte, zehn Meter zurückging und an die Umrandung des Geheges trat. Als er sich über das Geländer lehnte, um das Tier besser sehen zu können, hörte das Nashorn zu fressen auf. Es grunzte und schmatzte auch nicht länger. Stattdessen hob es den Kopf und starrte konzentriert in Richtung seines Besuchers. Natürlich konnte es ihn nicht sehen, Nashörner sind ja bekanntlich ziemlich kurzsichtig. Irgendetwas am Geruch seines Besuches aber schien es unruhig werden zu lassen. O’Shady sah erstaunt, wie plötzlich ein Zittern durch den Berg aus Fleischmasse, Lederrunzeln und Panzerplatten lief, ein Zittern wie ein Erdbeben. Und dann donnerte das wutschnaubende Nashorn, das seit seiner Gefangennahme im Tamallango Nationalpark und der Verfrachtung in den Zoo von Dublin nicht wirklich ruhiger geworden war, frontal gegen die Mauer seines Geheges.
»Geht’s mit dem Fuß?« Lawn sah, wie Siebeneisen zwischen den Sträuchern umherhumpelte.
»Ist schon viel besser!« Er ließ sich auf einer der großen Steine fallen, die überall lagen, nur um sofort wieder in die Höhe zu schießen – die Messerwunde vertrug hastiges Hinsetzen noch nicht. »Schön hier. War eine gute Idee, hierherzukommen.«
Als sie morgens gesehen hatten, dass es wider Erwarten nicht nach Regen, sondern nach einem schönen Spätsommertag in Dublin aussah, hatte Siebeneisen ein Auto gemietet. Die Fahrt hinaus zum Hill of Tara dauerte weniger als eine Stunde. Lawn hatte viel über den berühmtesten Ort Irlands gelesen und war entzückt, als sich in ihrem Zeitplan plötzlich ein freier Vormittag auftat. Bis ins 11. Jahrhundert hinein war der Hill of Tara Sitz der Hochkönige gewesen, spirituelles Zentrum und Nabel der irisch-keltischen Welt. Tausend Jahre später gab es nicht mehr viel zu sehen, ein paar seltsame Hügel und die Reste eines Grabes aus der Steinzeit; dennoch hatte Siebeneisen den Eindruck, dass von dem Ort eine eigentümliche Ausstrahlung ausging. Sie waren über die Wiesen auf eine kleine Anhöhe gelaufen, während um sie herum die Krähen krächzten. Jetzt standen sie da oben und sahen über das grüne Land, und Siebeneisen versuchte, seine Gefühle in Worte zu fassen, aber irgendwie funktionierte das nicht, also ließ er es bleiben. Er war ja sowieso eher von der
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