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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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die entfernteste Möglichkeit gegeben hätte, ihn im Mannschaftsraum eines ukrainischen Heringsschleppers Richtung Südpol zu transportieren oder als Abwaschhilfe auf einem chinesischen Seelenverkäufer, die beiden in Oer-Erkenschwick hätten das sofort angeleiert. Es war ein gütiger Fingerzeig der Götter, dass die Reise ausschließlich in dieser Luxusvariante möglich war. Siebeneisen wohnte zwar in einer winzigen Kabine, aber selbst diese Unterkunft kostete Schatten sicherlich etliche tausend Euro von jenem Kredit, den er zur Finanzierung seiner Suchaktion aufgenommen hatte. Siebeneisen verspürte trotzdem nicht den Hauch eines schlechten Gewissens. Noch immer klang ihm Schattens tönendes »Spesen spielen keine Rolle« in den Ohren, das Versprechen würde dann jetzt eben auch einmal eingelöst. Außerdem war er in den vergangenen Wochen in einem Boxzelt vermöbelt und von einem Lämmergeier als Abendessen betrachtet worden, hatte zwischen Ungeziefer schlafen und Essen von der Qualitätsstufe sibirischer Kriegsgefangenenmahlzeiten hinunterbringen müssen, ganz zu schweigen von diesem Panoptikum wahnsinniger Charaktere, das an jedem Ort seiner Reise auf ihn wartete. Das stand nun wirklich fest: So viele Kreuzfahrten konnten die ihm überhaupt nicht bezahlen.
    Die Fahrt über die Drake-Passage hatte Siebeneisen dennoch nur mit Hilfe der kleinen Erbsen überstanden, die ihm in der Ayurveda-Apotheke gleich neben seinem Hotel in Kathmandu empfohlen worden waren. Der Besitzer kannte sich leider nicht mit den Wetterverhältnissen südlich von Feuerland aus, aber als Siebeneisen ihm zum Vergleich von seiner Busfahrt nach Kathmandu berichtete, rollte der Apotheker ihm aus einer dubiosen braunen Masse besagte kleine Kugeln. Offensichtlich war dieses Geheimmittel andernorts nicht erhältlich; bei den Mahlzeiten saß Siebeneisen jedenfalls immer allein am Tisch. Seine Mitreisenden standen unterdessen mit grünlichen Gesichtern an der frischen Luft. Beziehungsweise waren seit Tagen in ihren Kabinen verschwunden.
    Siebeneisen gefiel das. Nach dem, was er in den vergangenen Wochen erlebt hatte, gefiel ihm alles, was mit Stille, geregelten Mahlzeiten und sauberen Betten zu tun hatte. Dass sich die Welt dabei ein paar Tage lang in ununterbrochenem Schleudergang befand, nahm er mit einer stoischen Gelassenheit hin. Möglicherweise war er nach seiner Rückkehr ja sogar so weit, Wipperfürth auf dem steinigen Weg des Zen-Buddhismus zu begleiten.
    Und dann waren sie in der Antarktis. Das Meer war so ruhig wie die Klarsichtfolie, die bei der Augsburger Puppenkiste immer den Ozean gibt, und alle Passagiere waren permanent auf den Beinen, um ja nichts zu verpassen. Ständig gab es neue Landzungen und Eisberge, und wenn rechts oder links ein Wal oder ein Delfin aus dem Wasser auftauchte, wechselten alle im Sprint die Deckseite. Dieses ständige Hin und Her bereitete Siebeneisen anfangs Probleme. Weil alle Passagiere identische, schlumpfblaue Expeditionsjacken trugen und mit Mützen, Schals und völlig übertriebenen Gletscherbrillen vermummt waren, wusste er nie, wer gerade vor ihm stand. Er brauchte zwei oder drei Tage, bis er zumindest einen Teil seiner Mitreisenden auseinanderhalten konnte. Und wusste, dass der barfüßige Inder, der immer auf einem Sofa in der Schiffslobby schlief, keineswegs zum Küchenpersonal gehörte. Offensichtlich verbrachte dieser Passagier sein Leben in einer Art Vor-Nirwana, in dem er nicht gestört werden durfte. Wenn er nicht schlief, saß er mit dem Rücken zum Fenster und las mathematische Fachbücher, um ja nichts mitzubekommen von der Antarktis. Als Siebeneisen ihn einmal auf eine besonders beeindruckende Szenerie aufmerksam machte, bekam er nur ein kryptisches »Die habe ich schon in meinen Träumen gesehen« zur Antwort. Darüber sinnierte Siebeneisen dann den ganzen Abend.
    Überhaupt erinnerten ihn seine Mitpassagiere an das sorgfältig ausgesuchte Ensemble einer Schlingensief-Inszenierung, etwas anderes hatte er bei seinem bisherigen Glück mit Reisebekanntschaften ja auch nicht erwarten dürfen. Da gab es zum Beispiel die australischen Frauen, die »Women’s Liberation!«-Buttons an ihren Pullovern trugen. Sie waren etwa zwischen Mitte 80 und 104 und sangen sich beim Essen gerne Radiowerbespots aus ihrer Kindheit vor, jelly jelly, how jelly is my jelly , wobei sie sich an den Händen hielten und selig strahlten. Anfangs wollte Siebeneisen ihnen von seinen Erlebnissen im Outback berichten und sie

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