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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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Arten gab, von denen die allermeisten nicht so trollig, nicht so tollpatschig und nicht so fürsorglich waren, spielte keine Rolle: In der öffentlichen Wahrnehmung waren Pinguine Kaiserpinguine, und Kaiserpinguine waren die A+-Stars unter den Tieren.
    O’Shady grübelte stundenlang am Tag über solche Dinge. Er hatte ja auch die Zeit dazu. Er sollte sich viel mehr von diesen Gedankenspielereien aufschreiben, dachte er, als er die Dose Makkaroni in die Tasche seiner feuerroten Daunenjacke steckte und nach draußen ging. Auch daran hatte er sich gewöhnen müssen: Es war längst nicht so kalt in der Antarktis wie er immer geglaubt hatte – mit der richtigen Winterkleidung ließ es sich ganz gut aushalten, und wenn die Sommersonne schien, war es hier unten am Ende der Welt nicht viel anders als beim Skilaufen auf einem Alpengletscher, minus Après-Ski mit Weißbier und Pfläumli natürlich. Und plus bestialischem Gestank. Zügig lief er zur Bucht hinunter. Als er noch etwa fünfzig Meter vom Wasser entfernt war, drehten sich alle jungen Pinguine wie auf ein geheimes Zeichen gleichzeitig nach ihm um. Es war wie immer: Die Tiere reagierten innerhalb von Sekundenbruchteilen aufeinander, höchst erstaunlich bei einer Spezies, die für zwanzig Meter Watschelstrecke gut und gerne zehn Minuten benötigen konnte. Möglicherweise verfügten Pinguine über eine Art Schwarmintelligenz, dachte O’Shady. Wer weiß, wozu sie sich verwenden ließen. Die amerikanische Marine hatte eine Zeitlang dressierte Delfine als Aufklärer eingesetzt. Eine zehntausend Tiere starke Pinguinkolonie eröffnete eventuell völlig neue strategische Möglichkeiten.
    Die Vögel an der Eiskante sahen ihn mit Blicken an, in denen absolute Gleichgültigkeit lag. Auch daran hatte sich O’Shady gewöhnt: Er schien für die Pinguine nichts anderes zu sein als ein – Pinguin. Vielleicht einer, der größer war als sie, seine Federn in eine komische rote Plastikhülle gesteckt hatte und sich niemals ins Wasser traute, aber nichtsdestotrotz eben doch nur ein Pinguin. Das Konzept Mensch, das war bislang das Fazit seiner Forschungen, existierte für einen Pinguin nicht. Vielleicht sollte er in seinen Aufzeichnungen auch die möglichen philosophischen Aspekte dieser Betrachtung erwähnen, dachte O’Shady gerade, als ein fürchterliches Tröten die antarktische Stille zerriss. Wie auf ein Kommando warfen die Pinguine ihre Köpfe in den Nacken und gaben Laute von sich, die klangen, als würde ein »Grundkurs Trompete« an einer Vorschule seine erste Übungseinheit abhalten. O’Shady setzte sich aufs Eis und holte seine Konservendose aus der Jacke. Da den Tieren offensichtlich der Eigengeruch fehlte (beziehungsweise vom Gestank verrotteten Fisches und gärender Vogelkacke verdeckt wurde, der wie eine Dunstglocke über jeder Kolonie hing) und ein Pinguin offensichtlich auch für einen Pinguin wie ein Pinguin aussah, gaben die Jungtiere den heimkehrenden Eltern akustische Hinweise auf ihren Standort. Bei drei oder vier Vögeln mochte sich das ganz rührend anhören. In einer Kolonie mit 700 Jungtieren war es kaum auszuhalten. Wenn Joshua damals eine Kohorte Pinguine vor Jericho aufgefahren hätte – die Mauern der Stadt wären ruckzuck zu Sand zerbröselt.
    Heimkehrende Pinguine sind ein eindrucksvoller Anblick. Auf dem Land wirken die Tiere ja eher unbeholfen und tapsig, im Wasser aber ist ein ausgewachsener Kaiserpinguin mit 1,20 Meter Länge und 35 Kilo Gewicht nichts, mit dem man gerne mal eben zufällig zusammenstoßen wollte. Vor allem nicht, wenn er gerade mühelos auf knapp 40 km/h beschleunigt hat und an einen Torpedo erinnert, der in Richtung Munitionskammer des feindlichen Schiffes unterwegs ist. Weil sie so viel Schwung wie möglich mitnehmen wollen, kommen heimkehrende Kaiserpinguine wie fette Pfeile aus dem Wasser geschossen. An Land scheinen sie sich in den ersten ein, zwei Minuten dann regelmäßig über den plötzlichen Verlust ihrer Beweglichkeit zu wundern. Dann beginnen sie, den auf See vorverdauten Fisch für ihre Jungen hervorzuwürgen.
    O’Shady musste nicht lange warten: Seine Eltern erkannten ihn wie immer ohne akustisches Signal und kamen auf ihn zugewatschelt. Gleich am ersten Tag hatte ihn eine Gruppe Pinguine adoptiert. Er vermutete, dass diese Tiere ihre Jungen verloren hatten, da bot sich der große, rote Pinguin als Ersatz an, der offensichtlich nicht selbst fischen konnte. Zuerst hatte er diese Ad-hoc-Adoption für unmöglich

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