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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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fragen, ob sie Spencers Boxzirkus vielleicht kannten, nach zwei Tagen an Bord aber versuchte er, mindestens vier Tische, Schlauchboote oder Robben zwischen sich und sie zu bringen. Gleiches galt für den ausgemergelten Neuseeländer, bei dem das aber nicht weiter schwierig war, weil der ausgemergelte Neuseeländer niemals an Land ging, sondern jeden Tag vier mal neunzig Minuten auf einem Laufband im schiffseigenen Fitnessstudio verbrachte. Dann war da noch die dickliche Frau Naubeck aus Düsseldorf, die allen immerzu erklärte, dass sie schon fünfmal in der Antarktis gewesen sei und sich auch schon für die kommende Expedition angemeldet habe, um schnell zu ihren kleinen Pinguinfreunden zurückzukehren (»manchmal glaube ich, die erkennen mich wieder!«). Zwei Inuit waren auch an Bord, sie hissten bei Landgängen heimlich eine grönländische Flagge, offenbar bereiteten sie sich auf die Souveränität vor. Und natürlich die Kreischerin, eine Deutsche in den Fünfzigern, die jedes Mal vor Begeisterung aufschrie, wenn sie eine Robbe sah – was die Robbe in der Regel zur sofortigen Flucht ins Wasser veranlasste. Blieb sie ausnahmsweise liegen und döste weiter, hielt die Kreischerin sie für tot und schrie deswegen: »Sie ist tot, oh nein, warum ist sie bloß tot?« An den ersten Reisetagen hatte Siebeneisen die Frau zu beruhigen versucht. Später flüchtete er, sobald die Kreischerin sich ihm näherte. Er nahm sich vor, sie mit dem Inder bekanntzumachen. Das würde bestimmt beruhigend auf sie wirken.
    Obwohl er keine Ahnung hatte, was ihn in den kommenden Wochen erwartete (und er, auch das lehrten ihn seine bisherigen Reiseerfahrungen, mit dem Schlimmsten rechnen musste), hätte Siebeneisen selbst gelassener nicht sein können. Die Antarktis übte eine nachgerade sedierende Wirkung auf ihn aus. Sobald die Sonne das Eis frühmorgens glitzern ließ, saß er dick verpackt in seiner neuen, mit Schattens Kreditkarte finanzierten Daunenjacke aus Ushuaia an Deck und versank in den vorbeiziehenden Panoramen. Das war vielleicht ein Land! Diese Weite! Diese Menschenleere! Und die Eisberge erst! Die Robben waren Siebeneisen egal, die heimtückischen Pinguine erst recht – die Eisberge aber liebte er. Manchmal tauchten sie aus dem Nebel auf wie Gebilde, die aus einem surrealistischen Gemälde von Dalí gepurzelt waren, langsam und lautlos und majestätisch. Siebeneisen wurde immer ein bisschen schwermütig, wenn er die weißen Riesen vorbeitreiben sah. Dann legte sich gefühltes Herbstlaub auf sein Gemüt, er sinnierte über das Verschwinden großer Dinge und fühlte sich ganz novembrig. Zum Trost las er meist ein paar Seiten in Die Reise um die Welt von einem gewissen Georg Forster, der damals James Cook begleitet hatte. Forster stammte aus Mainz und hatte keinen blassen Schimmer von dem, was ihn da draußen erwartete. Wenn Cook beispielsweise befohlen hatte, dass jetzt noch schnell nach Melanesien gesegelt werde statt wie vorgesehen nach Hause, dann war Forster eben flugs nach Melanesien gesegelt. Siebeneisen war froh, dass er das Buch in der kleinen Schiffsbibliothek entdeckt hatte. Er empfand eine gewisse Seelennähe zu dem Mann.
    Ein- oder zweimal am Tag ging es an Land. Zuerst düste eine Art Späher-Schlauchboot voraus, um das Gelände zu sondieren, anschließend folgten alle anderen (bis auf den Neuseeländer und den Inder) nach einem ausgeklügelten Shuttle-Fahrplan. Mit Argwohn beobachtete Siebeneisen dabei jedes Mal jene übergewichtigen Passagiere, die von drei Besatzungsmitgliedern aus den Booten gehievt wurden und anschließend in die Antarktis hinaustorkelten. Wieso machten diese Menschen nicht in Bad Reichenhall Urlaub? Was würde passieren, wenn jemand auf Pinguinkacke ausrutschen und sich den Oberschenkelhals brechen würde? Und warum mussten solche Leute auch noch einen halben Elektronik-Supermarkt dabeihaben? Siebeneisen schätzte, dass bei jedem Landgang High-End-Gerätschaften im Wert von mehreren hunderttausend Euro an Land geschleppt und in den nächsten 60 Minuten etwa siebzehn Terabyte-Speicherkarten mit schiefen Horizonten, fußlosen Pinguinen und unscharfen Seevögeln gefüllt wurden. Er bedauerte schon jetzt jene armen Zeitgenossen, die sich die Resultate dieser wirren Zooms und Schwenks später in einem Wohnzimmer irgendwo auf der Welt anschauen mussten. Da wären einige bestimmt froh über die kleinen braunen Kügelchen aus der Apotheke in Kathmandu.
    Die Vögel waren übrigens ziemliche Brummer.

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