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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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Lounge. Siebeneisen war fasziniert. Auch von der Band. Die Musiker waren durch ein Geviert aus Sparringsseilen von den Zuschauern getrennt. Sie wurden von einem verbissenen Triangelspieler angeführt, der offensichtlich versuchte, lauter als alle anderen zu sein (und wohl bloß deshalb engagiert worden war, weil er sonst regelmäßig den Schuppen demolieren würde). Nach dem Schlussakkord wurde geklatscht und gejubelt und gegrölt, und dann ging es mit dem nächsten Stück weiter.
    Gegen elf Uhr vormittags hatte der Lärmpegel bedrohliche Dimensionen angenommen. Alles um Siebeneisen herum schrie und sang durcheinander, selbst der Werbesprecher, der in den Pausen zwischen den Stücken Slogans von Landwirtschaftsmaschinen-Herstellern und Futtersilo-Besitzern ins Mikrofon rief, war heiser; sein Kopf hatte die Farbe eines Mannes, dessen ganz persönlicher Schlaganfall um die Ecke auf ihn wartete. Denn natürlich wurde der musikalische Frühschoppen in Fred’s Lounge im Radio übertragen, und zwar live, und zwar seit 1945, schrie ihm jemand ins Ohr, Siebeneisen hatte nichts anderes erwartet. Dass der Moderator sich jetzt aber nach einem gewissen Mr Siebeneisen erkundigte, der »von einer liebreizenden Frau am Hinterausgang erwartet werde, ohohoh« – das kam dann doch etwas überraschend.
    Lawn Ribaud trug ein schlichtes, hellgraues Sommerkleid und ein farblich passendes Halstuch. Sie hatte ihr dunkles Haar mit einem Reif zurückgesteckt, stand leicht wippend neben der Eingangstür und sang leise den Refrain des Liedes mit, das die Band hinter den Sparringsseilen gerade spielte. Als er auf sie zuging, überlegte Siebeneisen, wann er zum letzten Mal eine Frau in einem Kleid gesehen hatte, aber dann stand er auch schon vor ihr, und Lawn strahlte ihn an. Ein Hauch von Patschuli hing in der Luft.
    »Hi! Ich bin Lawn. Meadows Schwester.«
    Und eure dritte Schwester heißt wahrscheinlich Field, wollte Siebeneisen antworten, oder vielleicht auch Acker, aber dafür fiel ihm das englische Wort nicht ein, stattdessen sagte er: »Ich bin Siebeneisen. Schön, dass Sie Zeit haben.«
    »Ich bin so sehr erfreut, Sie endlich kennenzulernen! Hatten Sie eine angenehme Reise?«
    »Ja, danke. Und Sie eine gute Fahrt hierhin?
    »Eine absolut großartige! Es ist so ein zauberhafter Tag da draußen, finden Sie nicht! Konnten Sie ein wenig schlafen im Flugzeug? Das ist ja immer so ermüdend! Oh, mein Gott, ich fliege so ungern!«
    Das würde jetzt erst einmal ein paar Minuten so weitergehen, ahnte Siebeneisen. Unterhaltungen mit Amerikanern begannen immer mit einem unermüdlichen Hin und Her an Floskeln, Gefälligkeitsbekundungen, Gottesbezeugungen und dem gegenseitigen Abfragen von Gesundheits- und Gemütszuständen, bevor dann ganz schnell noch der Jahresverdienst des Gegenübers gecheckt wurde. Niemand erwartete, dass man auch nur eine dieser Fragen halbwegs wahrheitsgemäß beantwortete. Deswegen verschwieg Siebeneisen selbstverständlich alles, was ihm auf der Seele lag und eigentlich nur angetippt werden musste, um in einem längeren Lamento aus ihm hervorzubrechen: Wipperfürth, Schatten, die Ungerechtigkeit der Welt sowie die nur allzu präsente Erinnerung an das Kind, das auf dem Flug von Buenos Aires nach Atlanta hinter ihm gesessen hatte und von Atlanta nach Baton Rouge ebenfalls, ein unentwegt quengelnder, brüllender und speiender Affront gegen jede, wirklich jede Wahrscheinlichkeitsrechnung. Nach diesem traumatischen Erlebnis, der öden und heißen Fahrt nach Mamou und vier Dosen Leichtbier mit Cajun-Dauerbeschallung waren eine Adresse und eine Telefonnummer alles, was er wollte. Und dann ein Bett.
    »Wollen wir uns heute Abend vielleicht zum Essen treffen?« Lawn hatte ihre Floskelouvertüre in diesem Moment offensichtlich für beendet erklärt. »In einem netten Restaurant im French Quarter? Dann können Sie mir in aller Ruhe erzählen, weshalb Sie mich sprechen möchten. Im Moment habe ich dummerweise überhaupt keine Zeit, mir ist etwas dazwischengekommen. Ich muss ganz schnell weiter.«
    Für einen Augenblick sah Siebeneisen einen Tag gähnender Leere vor sich, einen Tag bei 43 Grad Celsius in einer Luft, die sich anfühlen und wahrscheinlich auch riechen würde wie die in der Umkleidekabine einer Fußballmannschaft. Andererseits würde er bis zum Abend den längsten Mittagsschlaf seines Lebens halten können.
    »Sehr gerne!«, antwortete er.
    Lawn begann, in ihrer Handtasche zu kramen. »Fahren Sie ruhig schon nach

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