Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
schnaubte innerlich. Der Mann war auf dem besten Weg, 50 Millionen zu kassieren, und knickerte herum, wenn es darum ging, ob ein Flug von Feuerland in die USA am Ende 1 230 oder 1 310 Dollar kostete. Von wegen: Spesen spielen keine Rolle! Und natürlich war die kleinste, die allerkleinste Mietwagenklasse reserviert gewesen, beim schäbigsten Verleiher im ganzen amerikanischen Süden, einem Unternehmen, das sogar noch mit dem verheerenden Zustand seines Betriebskapitals warb und sich »Miet-Dir-ein-Wrack!« nannte. Logisch, dachte Siebeneisen. Nachdem er auf der Rückfahrt aus der Antarktis vierzehn Tage in einer fensterlosen Kammer eines russischen Polarkreuzers verbracht hatte (das letzte, allerletzte Schiff, das die Antarktis vor dem Winter verließ), wunderte er sich nicht über die Schüssel, die auf ihn wartete. Nach mehreren Versuchen war es ihm gelungen, den Kofferraum zu schließen. Und drei der vier Fenster. Immerhin.
Und wieso musste sich diese Lawn an einem Sonntagmorgen unbedingt in einer Kneipe mitten in den Sümpfen mit ihm treffen? Warum nicht in aller Ruhe in der Hotellobby, von wo aus er nach dem Ende des Gesprächs in zwei Minuten sein Zimmer erreichen und 14 Stunden schlafen konnte? Sie hatte ihm in Sekundenschnelle auf seine E-Mail geantwortet, diese Lawn. Und zwar derart enthusiastisch, dass Siebeneisen den Verdacht hegte, ihre Schwester habe seine Anfrage möglicherweise hinter seinem Rücken angekündigt. Egal. Lawn wohnte mitten im French Quarter und schien halb New Orleans zu kennen; bestimmt war sie ein guter Kontakt für seine Suche nach Finn O’Shady. Zu dem ihm Wipperfürth außer Namen und Foto keine weiteren Informationen hatte liefern können. Natürlich nicht, grummelte Siebeneisen. Wäre ja auch noch schöner, wenn es zur Abwechslung mal eine Adresse geben würde. Oder sogar eine Telefonnummer. Stattdessen hatte er immerhin das Fax mit diesem Foto. Schatten hatte es mit einer speziellen Software bearbeitet. Die eigentliche Aufnahme war über 50 Jahre alt und zeigte Finn als kleinen Jungen, den die Software künstlich hatte altern lassen. Siebeneisen fragte sich, wie zuverlässig so ein Programm arbeitete, das Schatten wahrscheinlich als Testversion in einer PC -Zeitschrift für 2,95 Euro gefunden hatte. Immerhin: Dieser O’Shady lebte in einer Großstadt. Nicht in der Wüste, nicht im Eis, nicht im Hochgebirge – wahrscheinlich könnte man ihn sogar anrufen, wenn man denn eine Nummer hätte. Es hätte schlimmer kommen können, dachte Siebeneisen, es hätte wirklich schlimmer kommen können.
Er versuchte, die Augen offen zu halten, aber jetzt war ihm auch noch heiß. Die Klimaanlage des Mietwagens rackerte zwar brav gegen Schwüle und beschlagene Scheiben an, schien aber vor dem defekten Fenster hinter dem Fahrersitz kapituliert zu haben. Siebeneisen wischte sich einen Schweißtropfen von der Stirn. Die Landschaft hatte sich während der letzten halben Stunde allmählich verändert. In den Außenbezirken von Baton Rouge sah die I-10 aus wie jede andere Interstate in jedem anderen Industriegebiet jeder anderen amerikanischen Großstadt – mittlerweile aber war die Szenerie grüner geworden, grüner, leerer und sumpfiger. Er kam an einem Schild vorbei, das ihn in Cajun Country willkommen hieß. Auch das kannte er aus der Dokumentation. In der waren Ausschnitte aus Filmen zu sehen gewesen, die in dieser Gegend der Südstaaten spielten, Down By Law oder Die letzten Amerikaner . Offenbar handelten diese Filme von Großstadtbewohnern, die sich aus diversen undurchsichtigen und schwer nachvollziehbaren Gründen (wie einem Reservistenmanöver oder dem Ausbruch aus einem Hochsicherheitstrakt) plötzlich in den Sümpfen Louisianas wiederfanden. Und dort alsbald von so ziemlich jedem Missgeschick am Schlafittchen gepackt wurden, das sich ein Geschichtenerzähler von der Heimtücke Hollywoods ausdenken konnte: umgekippte Boote, Schwärme aggressiver Moskitos, Giftschlangen, verlorene Kompasse und Brackwasser bis zum Hals. Siebeneisen schüttelte es. Ein Straßenschild warnte ihn vor quer laufenden Alligatoren auf der Interstate. An der nächsten Ausfahrt bog er ab.
Fred’s Lounge war gut zu finden: Sie hockte neben einer Handvoll verrosteter Autowracks und ausrangierter Traktoren an der Hauptstraße von Mamou, Louisiana. Etwas komplizierter war es mit dem Eingang. Siebeneisen musste mehrere Mal um das Gebäude herumlaufen, bis er ihn hinter zwei übereinandergestapelten Pick-ups
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