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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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N’oorlins … Moment …«
    Siebeneisen fand ihren Südstaatenakzent ganz entzückend – jede zweite oder dritte Silbe wurde gedehnt, als sei sie ein Stück Kaugummi in der heißen Sonne. Er sah Lawn zu, wie sie den Inhalt ihrer Handtasche durchforstete: eine zierliche, gebräunte Frau in Kleid und Sandalen, die ihre Füße leicht eingedreht hatte, um die Handtasche besser auf den Knien abstützen zu können. Je länger sie suchte, umso mehr schwarze Strähnen lösten sich aus dem Haarreif und fielen vor ihre Augen. Erstaunt bemerkte Siebeneisen ein leichtes Flattern im Bauch. Dann hatte Lawn gefunden, was sie suchte: einen Notizblock und einen Bleistift.
    »Ich habe Ihnen ein Hotelzimmer reserviert. In der Villa La Reina. Wenn ich nicht arbeiten müsste, könnten wir uns gleich hier unterhalten, die servieren wahnsinnig gute Alligatorenspießchen. Tut mir schrecklich leid, dass ich Sie hier so sitzenlassen muss. Ich muss für einen Job raus in die Thornbush Plantation.«
    »An einem Sonntag?«
    Lawn lächelte. »Die Leute, mit denen ich mich treffen soll, haben eine etwas andere … naja, Zeiteinteilung. Ich rufe Sie im Hotel an!«
    Draußen brauchte Siebeneisen zehn Minuten, bis er zwischen all den Autowracks jenes gefunden hatte, für das jemand 19,95 $ pro Miettag bezahlen musste. Zu seiner Überraschung sprang der Wagen sofort an.

19
    Nachdem er über eine Stunde im Kreis gefahren war, stellte Siebeneisen sein Mietwrack auf einem Parkplatz am Mississippi ab. Ein farbiger Mann in einem Campingstuhl bewachte das Gelände und spielte auf einer lädierten Gitarre, offensichtlich übte er noch schnell ein paar Bluesakkorde für seinen Auftritt am Abend. Siebeneisens Laune besserte sich schlagartig. Er war in New Orleans! Der Wiege der amerikanischen Musik! Vor ein paar Jahren hatte er Walburga einen Stapel Jazz- und Blues- CD s aus seiner Sammlung mitgebracht, Aufnahmen aus den Vierziger- und Fünfzigerjahren, die selbst der altdeutschen Inneneinrichtung im Fetten Hecht eine gewisse Verruchtheit verliehen (Walburgas Lieblingsband war Pur – eine Gruppe, von deren Liedern Siebeneisen vermutete, sie würden in Guantanamo und ähnlichen Institutionen eingesetzt). Von den alten Aufnahmen liebte er vor allem die Bigband-Einspielungen. Und die Titel von Louis Armstrong, als der noch mit den Hot Five unterwegs war. Wenn diese Musik in seiner Stammkneipe lief, musste er nur kurz die Augen schließen, um sich in die goldenen Jahre am Mississippi zu versetzen. Nach wenigen Minuten war dann selbst Wipperfürths Geschwafel so leise, dass es allmählich mit der Snaredrum des Schlagzeugers verschmolz.
    Und jetzt war er tatsächlich hier. Siebeneisen fühlte sich wunderbar beschwingt. Er beschloss, mit dem Parkplatzwächter zu plaudern, vielleicht hatte der ja einen Tipp für eine gute Musikkneipe. Der Mann war allerdings derart in seine Akkordfolgen versunken, dass er Siebeneisen überhaupt nicht beachtete. Erst als der ihn sehr laut ansprach, blickte er auf. Siebeneisen zuckte zusammen: Der Musiker sah älter aus als jede Person, die er bislang gesehen hat. Sein Gesicht war wie aus Ebenholz geschnitzt, eine Maske, in die ein ganzes Jahrhundert Furchen und Gräben gefräst zu haben schien. Im Schwarz der Pupillen klafften Abgründe.
    »Kostet 60 am Tag, Bruder. Keine Verhandlungen, keine Diskussion.«
    Siebeneisen war erleichtert, dass der Mann nicht in einem altägyptischen Dialekt aus der Zeit Echnatons mit ihm sprach. Die Höhe der Parkgebühren schockierte ihn allerdings.
    »60 Dollar? Für 24 Stunden?«
    »60 am Tag, Bruder. Wenn du ihn über Nacht stehen lassen willst, kommen noch mal 30 dazu.«
    »Aber so viel ist mein Auto nicht mal mehr wert! Die Karre ist älter als Ihre Gitarre!«
    Der Parkplatzwächter brach den Blueslauf ab, eine Folge von Tönen, die klangen, als beklagten sie alles Unheil, das dieser Welt je widerfahren war.
    »Stimmt nicht, Bruder, stimmt nicht. Ist sehr alt, meine Kleine, sehr, sehr alt.«
    Er senkte den Kopf und spielte weiter. Siebeneisen starrte gebannt auf die langen, dürren Finger des Alten, die die Saiten streichelten und zerrten und zogen und sie dabei gleichzeitig kaum zu berühren schienen. Die Musik war anders als alles, was er bisher gehört hatte, sie kam von den Baumwollfeldern am Mississippi, sie beschwor Blut, Schweiß und Tränen, und gleichzeitig klang sie nach all den Jahrzehnten und Generationen danach, nach Selma und My Lai, nach Buchenwald und Srebrenica, ein Heulen, ein

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