Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
solle. Und Schatten äußerst zufrieden sei mit der detektivischen Leistung seines Freundes, »ganz, wie er es von einem Mann von Welt erwartet habe«.
»Darf ich mal sehen?« Meadows Stimme legte sich balsamisch auf Siebeneisens allmählich hochkochende Wut. Er gab ihr das Fax.
»Ich kenne den«, meinte die Amerikanerin, nachdem sie sich das Foto ein paar Sekunden lang angesehen hatte. »Meine Schwester in New Orleans hat ein Foto von ihm im Flur hängen.«
18
(Louisiana, zwei Wochen später.)
Im blassen Licht der Morgendämmerung lag der Highway vor ihm wie eine Schlange, die ein Lastwagen erwischt hatte, lang und platt und ausgestreckt. Siebeneisen schaute die Schlange entlang, wie sie sich in das konturlose Land hineinreckte. Er war müde. Hundemüde. Die tote Schlange hypnotisierte ihn. Er spürte, wie ihm die Augen zufielen, wie die Lider mit aller Macht nach unten klappten, als habe jemand heimlich kleine Metallgewichte oben auf sie draufgeklebt. Er schüttelte kurz den Kopf, um die Müdigkeit zu vertreiben. Während er die Schlange im Blick behielt, tastete er mit der rechten Hand nach dem Styroporbecher, den er in einen Halter an der Automatikschaltung geklemmt hatte. Der Kaffee schmeckte fürchterlich. Es war ihm schleierhaft, wie ein kompletter Kontinent eine solche Brühe trinken konnte. Und dann auch noch aus Halbliterbechern! Natürlich war auch deutscher Tankstellenkaffee nicht immer ein Quell der Freude, aber immerhin schmeckte er nach Kaffee. Nicht nach etwas, mit dem man eigentlich im Frühjahr den Gartenzaun strich. Er beschloss, keine weiteren Experimente mehr einzugehen. Er würde in diesem Land nur noch Tee trinken.
Siebeneisen sah auf den Tacho: viel zu schnell. Er nahm den Fuß vom Gas und schaute aus dem Seitenfenster. Zufälligerweise kannte er die Straße aus dem Fernsehen – kurz vor seiner Abreise nach Australien war zu Hause in Oer-Erkenschwick eine Dokumentation über die I-10 zu sehen gewesen. Der Film war in Texas gedreht worden, wo diese Interstate eine asphaltierte Legende war, die Grenzlinie zwischen den USA und Mexiko, zwischen Erster und Dritter Welt, zwischen »texanischem Stetson und mexikanischem Sombrero«, wie der Sprecher pathetisch fabulierte. Was natürlich Blödsinn war: Kein illegaler Einwanderer trug beim Überqueren des Rio Grande einen Sombrero, dachte Siebeneisen. Wie wahrscheinlich überhaupt niemand mehr in ganz Mexiko. Und hier? War die berühmte I-10 so langweilig wie die A7 zwischen Hildesheim und Göttingen, nur nicht ganz so voll.
Er fummelte am Radio: Amy Grant, Arrested Development, das unerträgliche Gewimmer der Doobie Brothers, zwischendrin »Warum soll Satan all die gute Musik haben?«-Jingles. Es war unmöglich, etwas anderes als diese Heilsbringersender zu finden, deren Laienprediger ihn seit dem Flughafen verfolgten. Betet! Das Böse ist nah! Die Erlösung fern! Doch wir sind bei Euch! Halleluja! Gerade eben hatte ein Anrufer gebeichtet, in seiner Jugend die Hamster seines Nachbarn hingerichtet zu haben. Der Mann war während des Gesprächs in Tränen ausgebrochen. Er heulte und schluchzte, während ihm der überhebliche Moderator immer neue Geständnisse entlockte, um ihm am Ende die Hamsterhinrichtungen zu vergeben. Im Namen des Herrn natürlich. Und dieses Land hat Menschen wie Miles Davis und Thomas Jefferson hervorgebracht, dachte Siebeneisen. Mit Schrecken bemerkte er, dass er wegen der Christian-Rock-Beschallung aus schierer Wut schon wieder viel zu schnell fuhr. Wenn er nicht aufpasste, würde er in einem Bezirksgefängnis statt in seinem Hotelzimmer übernachten.
Es war ihm ein Rätsel, wieso er überhaupt nach Baton Rouge geflogen war: Um zu seiner Verabredung zu kommen, musste er nun fast bis New Orleans fahren. Als ob es dort keinen Flughafen geben würde! Siebeneisen bemerkte, wie Müdigkeit, Musik, der miese Kaffee und nun der Gedanke an diese unnötige Fahrt seine Laune mit jeder Sekunde verschlechterten. Natürlich war diese Route überhaupt kein Rätsel, dachte er, sondern mit Sicherheit lediglich Folge eines geringfügig günstigeren Ticketpreises, auf den Wipperfürth bei seinen mäandernden Online-Wanderungen gestoßen war. Auf irgendeiner Billigflüge-Webseite eines Reiseanbieters aus Bangkok wahrscheinlich, oder Gott weiß wo sonst. 80 Dollar gespart, seinen Kumpel dann aber schnell ein paar Hundert Meilen über die Interstate getrieben – das sah Wipperfürth ähnlich. Und Schatten. Dem vor allem! Siebeneisen
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