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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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Refrain von Juliane Werdings »Am Tag, als Conny Kramer starb«, als Siebeneisen sich an der Rezeption den Zimmerschlüssel geben ließ. Für einen kurzen Moment war er irritiert, aber dann fiel ihm ein, dass im Original des Liedes kein Kleinstadtjunkie zu Grabe getragen wurde, sondern Old Dixie, der Süden der USA , und das Lied vom Ende aller Südstaatenherrlichkeit nach dem amerikanischen Bürgerkrieg handelte. Offensichtlich fühlte sich der Vogel durch den Gast ermuntert, jedenfalls pfiff er noch lauter, als Siebeneisen an ihm vorbei zu seinem Zimmer ging. Er blieb kurz stehen, um sich zu vergewissern, dass in dem Käfig tatsächlich eine kleine Südstaatenflagge neben dem Futternapf hing. Vorsorglich sah er den Papagei sehr finster an. Der hörte zu pfeifen auf, hangelte sich mit dem Schnabel an den Gitterstäben in die Vertikale und krächzte Siebeneisen ein gellendes »Gefreiter Virgil Kane, Sir! Zu Befehl, Sir!« entgegen. Siebeneisen widerstand der Versuchung, vor dem Vogel zu salutieren. Als er die Tür zu seinem Zimmer aufschloss, rief der Papagei ihm ein »Hier riecht’s verdammt nach Yankees!« hinterher.
    Leider schienen auch die Matratzen zweihundert Jahre alt zu sein, oder Siebeneisen war einfach zu aufgedreht nach diesem Tag, der in seiner Erinnerung irgendwann am anderen Ende der Welt begonnen und sich seither alle Mühe gegeben hatte, bloß nicht zu Ende zu gehen. Er lag auf dem Rücken und schaute dem Ventilator zu, wie er versuchte, die Schwüle im Zimmer in atembare Stückchen zu zerlegen. Draußen hatte es zu regnen begonnen. Die Tropfen trommelten kleine Synkopen auf das Blech seines kleinen Balkons, die alle anderen Geräusche auslöschten. Siebeneisen betrachtete sein Zimmer. Zweifellos war es das schönste der bisherigen Reise, was zweifellos seinen Grund hatte: Es war das bislang einzige, das nicht von Wipperfürth reserviert worden war. Die Möbel sahen allesamt aus wie Museumsstücke, die Stühle, der Tisch, der Schrank; als Siebeneisen vorhin eingetreten war, hatten die gewachsten Bodendielen geknarzt, als wollten sie ihm schnell ein paar Anekdoten aus der Geschichte des Hauses erzählen. An der Wand gegenüber hing ein Ölgemälde, drei farbige Frauen, nackt, bunte Tücher wie Turbane um die Köpfe gewickelt. Siebeneisen stand auf und ging hinüber zu dem Bild.
    Dem Maler war es gelungen, seine Modelle vollkommen natürlich darzustellen, als habe er sie heimlich beobachtet, als sei ihnen seine Anwesenheit verborgen geblieben. Oder völlig gleichgültig. Die drei Frauen waren im Gespräch vertieft. Und wunderschön. Die Szene schien im Innenhof seines Hotels gemalt worden zu sein, im Hintergrund ragte ein Teil des gewaltigen Vogelkäfigs ins Bild. Siebeneisen beugte sich vor, um die Beschriftung lesen zu können. »Josephine, Isabelle und Miriam, House of the Rising Sun, 1842.« Siebeneisen stellte sich das New Orleans dieser Zeit vor. Die Stadt war durch den Handel mit Zucker und Baumwolle damals ziemlich reich gewesen, wusste er aus dem Artikel. Wohlhabende Bürger hatten sich prächtige Häuser errichten lassen, die Nachkommen weißer Großgrundbesitzer und ihrer schwarzen Sklavinnen hatten eine eigene Schicht der Gesellschaft gebildet, und im French Quarter hatten Kirchen, Spielhöllen, Opernhäuser und Bordelle nebeneinander existiert. Man musste sich nicht wundern, dass in dieser Stadt der Jazz geboren wurde, dachte Siebeneisen. Und auch nicht, dass New Orleans dem konservativen Amerika immer noch vorkommen musste wie Sodom und Gomorrha. Er legte sich aufs Bett und schaltete den Fernseher ein. Auf dem Bildschirm erschien eine Kneipe, die wie Fred’s Lounge aussah und in der die Leute exakt so sprachen wie bei seinem kleinen Frühschoppen vor ein paar Stunden. Allerdings bestellten sie kein Battorbörbenn, sondern ein Getränk namens Real Red, bei dem es sich offenbar um künstliches Blut handelte. Er brauchte eine Weile, bis ihm klar war, dass die Mehrzahl der Kneipengäste Vampire waren, aber die schienen in dieser Serie eine assimilierte Bevölkerungsgruppe zu sein. Er stand erneut auf und ging zum Fenster. Schräg gegenüber war ein Internetcafé.
    Er brauchte fast eine halbe Stunde und die Hilfe des fünfjährigen Sohnes der Cafébesitzerin, bis Siebeneisen auf der Facebookseite war, die Wipperfürth in Oer-Erkenschwick für ihn eingerichtet hatte. Viel zu sehen gab es dort nicht: ein kleines Foto von ihm, das offensichtlich im Fetten Hecht aufgenommen war, Siebeneisen am

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