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Donovans Gehirn

Donovans Gehirn

Titel: Donovans Gehirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Curd Siodmak
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kleinen Mann nachgespürt.
    Sternlis Augen wurden schlecht. Langsam verlor er die Sehkraft, er war nicht mehr imstande, Donovans schnelle Diktate aufzunehmen. Es mußte ein neuer Sekretär engagiert werden.
    Sternli hatte jetzt keine andere Verwendbarkeit mehr als die einer lebendigen Kartothek, eines unfehlbaren Protokolls über vergangene Dinge. Da seine Nützlichkeit auf die Hälfte reduziert war, reduzierte Donovan auch sein Gehalt auf die Hälfte. Und eines Tages begann er die fünfhundert Dollar einzubehalten, die er ihm vor Jahren geborgt hatte – in Fünf- und Zehn-Dollar-Raten aus Sternlis ohnedies gekürztem Gehalt.
    Als Sternli sich selbst in Bedrängnis sah, tat Donovan sehr überrascht. »Erzählen Sie mir doch nicht, daß Sie kein Geld haben«, sagte er. »Sie müssen doch reich sein! Sie haben doch bestimmt genug auf die Seite gelegt!«
    Sternli war tief gekränkt und verteidigte sich.
    »Ich behaupte ja gar nicht, daß Sie mir Nickel aus der Tasche gestohlen haben«, meinte Donovan. »Aber Sie haben doch sicher ein paar hundert Dollar mit angelegt, wenn ich Börsenpapiere kaufte!«
    Sternli hatte niemals an etwas Derartiges gedacht, und nach seinem sehr strengen Ehrenkodex wäre das unehrlich gewesen.
    Nur einmal hatte Sternli Donovan schwach und unbeherrscht gesehen. Am Tage, da Katherine starb. Sie entfloh Donovans Tyrannei, indem sie ihm ganz still aus der Hand glitt. Durch ihr Sterben beraubte sie ihn des endgültigen Sieges, sie zu brechen. Um sie zu halten, hatte er sie gezwungen, ihm ein Kind nach dem andern zu gebären. Nur das erste und das letzte blieben am Leben – Howard und Chloe. Als Katherine starb, mußte Sternli ständig mit Donovan in einem Zimmer bleiben. Er sah zu, wie der schwere Mann nächtelang hin und her lief und etwas vor sich hinmurmelte.
    Donovan schwach gesehen zu haben, war ein Todesurteil – wie für einen Sklaven, der weiß, wo seines Königs Schatz verborgen ist. Nun saß mir hier ein Mann von fünfzig Jahren gegenüber, der wie siebzig aussah, der halb blind, hilflos und arm wie eine Feldmaus war.
    »Ich weiß nicht, warum mir Herr Donovan die fünfhundert Dollar geschickt hat, Dr. Cory. Genau die Summe, die er mir lieh und dann wieder ratenweise einkassierte. Fünfhundert Dollar. Hat er gerade diese Summe aus irgendeinem Grunde gewählt? Wollte er gern, daß ich glauben soll, er bereue manche Dinge, durch die er mich unbewußt verletzt hat? Ich bin überzeugt, er glaubte, immer gut zu sein. Und er starb nicht, ohne sich meiner zu entsinnen! Es ist nicht das Geld, es ist sein Gedenken, das mich glücklich macht.«
    »Er wußte nicht, daß er sterben mußte«, sagte ich.
    »O ja!« antwortete Sternli ruhig. »Er wußte seit mehr als einem Jahr, daß seine Tage gezählt waren.«
    Diese Enthüllung erschütterte mich. Sie stellte Donovan plötzlich in ein ganz anderes Licht. Sie gab mir eine Perspektive für die Beurteilung seines Charakters, die ich vorher nicht hatte.
    »Was konnte er denn im voraus über den Unfall wissen?« sagte ich überrascht.
    »Oh, darüber nichts!« erwiderte Sternli mit düsterem Lächeln, »aber er wußte, daß er krank war. Es bestand keine Hoffnung. Die Ärzte gaben ihm nicht mehr als ein Jahr.«
    »Nierensache«, diagnostizierte ich, mich der Farbe von Donovans Gesicht erinnernd – weißlich, mit einem Stich ins Gelbe. Er hatte an einer nephritischen Entartung der Nieren gelitten, die gewöhnlich mit einem gleichen Prozeß in der Leber zusammengeht.
    »Ja«, nickte Sternli. »Das ist, was sie ihm gesagt haben. W. H. pflegte allein zu trinken. Einsame Trinker sind gefährlich. Manchmal dachte ich, er machte sich absichtlich betrunken, nicht, weil er das Trinken liebte, sondern weil er seine Gedanken auslöschen wollte. Er war es müde, so viele neue und gewaltige Projekte zu erwägen. Er war von seiner eigenen Intelligenz gehetzt. Oft rief er mich mitten in der Nacht herein und diktierte stundenlang. Ich schenkte ihm einmal zum Geburtstag ein Diktaphon, aber er blieb dabei, mich zu den unmöglichsten Stunden rufen zu lassen. Und während der letzten Jahre fing er an, heimlich zu trinken. Er wollte nicht, daß es irgend jemand merkte, und lud mich niemals ein, eine Flasche mit ihm zu teilen. Ich glaube, daß er den Alkohol in Wirklichkeit haßte.«
    Sternli fiel plötzlich ins Grübeln und vergaß mich darüber. Also hatte Donovan versucht, sich selbst zu entfliehen. Hatte er demnach doch ein Gewissen? Und was versuchte er zu vergessen?

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