Donovans Gehirn
ein, und als Sternli ihn um Geld für seine Europareise bat, ließ ihn Donovan einen persönlichen Schuldschein auf fünfhundert Dollar unterzeichnen.
Als Sternli seine Geschichte erzählte, unterschlug er einen Abschnitt seines Lebens. Ich konnte nur erraten, was er zu verbergen wünschte.
Er hatte einmal geliebt. Und wie das Schicksal ironisch wollte – er liebte Donovans Frau, Katherine. Sie muß eine schöne Frau gewesen sein, zurückgezogen und unglücklich. Sie ermutigte den schüchternen jungen Mann nicht; ich glaube, wahrscheinlich ahnte sie gar nichts von seiner heimlichen Anbetung.
Eines Tages konnte der ehrliche Sternli den Konflikt nicht mehr ertragen, der sein Gewissen zerriß. Er hatte das Gefühl, nicht ehrlich zu arbeiten, und es erschien ihm wie ein Treubruch, daß er die Frau seines Brotgebers liebte. Und so bat er Donovan, ihn von seinen Pflichten zu entbinden.
Donovan bot Sternli sofort eine Gehaltserhöhung an. Unzufriedenheit ließ sich immer durch Geld kurieren! Aber Sternli begann zu berichten.
»So, so ... Sie lieben Katherine?« sagte Donovan ruhig. »Und was meint sie dazu?«
Natürlich hatte Sternli nie ein Wort darüber zu Frau Donovan gesagt. Sich in eine verheiratete Frau zu verlieben, hieß für ihn bereits, Gottes Gebote offenkundig zu verletzen.
»Wenn Sie es ihr nicht gesagt haben, so liegt doch kein Grund vor, fortzugehen«, sagte Donovan nüchtern. Er fügte hinzu: »Und auch kein Grund, Ihr Gehalt zu erhöhen.«
Mit dieser Entscheidung hatte Donovan den Zwischenfall zu seiner Zufriedenheit geregelt. Sternli blieb. Die Entscheidung war für ihn getroffen worden, sogar in diesem intimsten und wichtigsten Bereich seines Lebens, in der Liebe. Das machte ihn noch abhängiger.
Wenige Monate später starb Katherine Donovan.
Während seiner ganzen Erzählung machte Sternli nicht den Eindruck, ein von Natur mitteilsamer Mensch zu sein. Er berichtete einfach Tatsachen, ohne daß auch nur einmal seine Stimme bebte. Nur manchmal, wenn er eine ernste Enthüllung unterstreichen wollte, lächelte er, nahm seine Brille ab und putzte sie sorgsam.
Er sprach weiter, ruhig und bescheiden. Er wünschte mir näher zu kommen – und das gelang ihm durch seine Geschichte.
Ich bin sicher, er wußte nicht, warum er sein Herz einem Fremden öffnete, um seine Lebensgeschichte herunterzubeten – aber langsam nahmen seine und Donovans Gestalt Leben und Farbe an. Indem ich Sternli zuhörte, erfuhr ich mehr über Donovan als über Sternli selbst. Es interessierte mich sehr. Diese Seite hatte ich völlig übersehen. Donovans Geschichte, die in den Zeitungen stand, war übertrieben, gefälscht, auf Journalismus zurechtgemacht. Hier aber entfaltete sich seine wahre Natur.
Ich fing an, die Arbeit des Hirns zu verstehen. Wenn ich Donovans Charakter gründlich erforschte, jede Regung seiner Gefühle kannte, jede Reaktion seines Bewußtseins, so konnte ich auch viele Widersprüche des Hirns verstehen.
Ich drängte Sternli, fortzufahren. Wie ein guter Psychoanalytiker versuchte ich zu lesen, was sich hinter den Worten verbarg. Die Teile, die er unbewußt verheimlichte – weil sie ihm nicht von Wichtigkeit schienen – fügte ich zusammen, um sie in das riesige Puzzle-Bild eines mächtigen Mannes einzufügen, der jeden Gewissensbiß und jeden Schwächeanfall in einem schmetternden Angriff auf seinen Gegner überwindet, der wie ein Boxer wütend angreift, wenn er in die Ecke gedrängt ist.
Sternli war ein idealisiertes Bild Donovans. Er war gegen die Fehler seines Herrn blind. Er ahnte nicht einmal, wie dieser Mann das Gefüge seines Lebens zerstört hatte – raffiniert, geduldig und gründlich.
Es wurde mir klar, daß Donovan in dem Augenblick, da Sternli ihm von seiner Liebe zu Katherine sprach, seinen Untergang beschlossen hatte. Nicht, daß Donovan eifersüchtig war. Er war zu groß, um sich eine solche Schwäche zu gestatten – aber jemand war freventlich auf sein Eigentum aus. Auch wenn das Verbrechen nur eine Gedankensünde war, fühlte Donovan sich doch betrogen und bestohlen.
Sternli berichtete mir von Donovans Gewohnheit, Leute durch Spitzel beobachten zu lassen. Jeder in seiner nächsten Umgebung stand unter heimlicher Bewachung. Nummer Eins der Verdächtigen war Katherine. Ich war überzeugt, Donovan kannte jeden ihrer Schritte, war informiert, wie sie jede Minute ihrer Zeit verbrachte. Er hatte auch Sternli bespitzeln lassen – rein gewohnheitsmäßig. Seine Wachhunde hatten diesem
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