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Donovans Gehirn

Donovans Gehirn

Titel: Donovans Gehirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Curd Siodmak
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hielt mich mit ihrem Blick fest.
    »Gestern abend«, flüsterte sie, »haben Sie mir angst gemacht! Sie sprachen wie mein Vater. Sie zogen den linken Fuß nach. Sie schrieben seinen Namen genau wie er. Und Sie sagten Dinge, die nur er und ich wußten!«
    Sie lächelte, ihre Unsicherheit hinter einer Tapferkeit verbergend, die nur durch gute Erziehung entwickelt wird.
    »Woher wußten Sie ... das mit der Markensammlung? Das konnte Ihnen mein Vater nicht gesagt haben!«
    »Vielleicht las ich es in einer Illustrierten«, antwortete ich, aber sie schüttelte den Kopf.
    »Nein!« Sie versank in tiefe Gedanken. Als sie wieder sprach, sprach sie mit sich selbst; sie hatte meine Gegenwart vergessen.
    »Ich weiß, daß mein Vater nicht gestorben ist. Ich wußte, er würde wieder erscheinen – als er selbst oder als ein anderer. Ich habe ihn erwartet.«
    Mit einer scharfen Wendung des Kopfes sah sie mich an, ihre Augen waren weit geöffnet. »Ich bin überzeugt, Sie haben die Wahrheit gesagt, als Sie uns versicherten, mein Vater habe nicht zu Ihnen gesprochen. Aber jetzt handelt er durch Sie!«
    Sie hatte eine Erklärung für das Phänomen. Sie nahm als selbstverständlich an, daß auch ich es verstehen würde.
    »Haben Sie Ihren Vater geliebt?« fragte ich.
    »Ich haßte ihn«, erwiderte sie. »Und ich glaubte schon, die Gerechtigkeit sei aus dieser Welt verschwunden – weil Gott selbst so ungerecht zu sein schien!«
    Sie war aufgeregt. Ihre Augen mit den geweiteten Pupillen waren leer. Die Welt ließ kein Bild auf ihrer Netzhaut zurück, und sie lauschte einer Stimme, die nur sie vernehmen konnte.
    »Sie gaben Fuller den Auftrag, Cyril Hinds zu verteidigen, aber Sie wissen nicht warum!« sagte sie in stillem Triumph. Und plötzlich lachte sie irr. Ich erwartete einen zweiten Anfall, aber er kam nicht. »Mein Vater möchte Cyril Hinds vom Strick des Henkers retten, um dem Tode ein Leben zu entreißen, als Austausch für ein Leben, das er in den Tod trieb! Wie man eine Büchse Fleisch gegen eine andere austauscht, oder wie man zehn Dollar zurückzahlt, die man sich geborgt hat! Als ich sieben Jahre alt war, gab er mir eine Lektion fürs Leben – seine Philosophie in wenige Worte zusammengefaßt: In dieser Welt ist der Kampf um das Geld der Kampf um das Leben. Der Reiche lebt ein konzentriertes Leben, das vielen anderen Leben entspricht. Mit bezahlten Helfern, Sklaven, Dienern, Sekretären, Schmarotzern bringt er in kurzer Zeit zustande, wozu der Arme mindestens ein Jahr braucht. Das Leben des Reichen ist hundertmal so lang als das des Armen. Mit Geld lebt man länger als die andern. Geld ist das Leben selbst –«
    Ich wußte, warum sie mich so dringend sprechen wollte. Meine seltsame Handlung gestern abend hatte sie überzeugt, daß ich ihr vom Schicksal gesandt sei.
    Ihr Leben lang hatte sie unter der Tyrannei ihres Vaters gelitten und auf die Jahre seines Abstiegs gewartet. Doch er hatte sich ihr durch einen plötzlichen Tod entzogen. Sie wollte einfach nicht glauben, daß er mit dem Leben fertig sei. Sie wollte, daß er wiederkehre! Sie wußte nichts, gar nichts vom künstlichen Leben des Hirns – aber sie fühlte, daß irgend etwas geschehen war.
    Ich bewegte meine rechte Hand, biß mich auf die Lippen und spürte den Schmerz. Also saß ich selbst hier, nicht Warren Horace Donovan.
    »Meines Vaters richtiger Name war Dvořak. Er kam aus einer kleinen Stadt in Böhmen, im Jahre 1895. Er änderte seinen Namen in Donovan, lebte in San Juan und arbeitete in einer Eisenwarenhandlung.
    Meine Mutter, Katherine, war die Tochter des Inhabers, und der beste und einzige Freund meines Vaters war Roger Hinds, der Bahnhofsvorsteher.«
    Chloe berührte immer noch meine Hand, als brauche sie diesen Kontakt. Plötzlich sah sie mich an und sagte mit klarer Stimme: »Ich habe niemals zu jemandem über Roger Hinds gesprochen, seit meine Mutter mir von ihm erzählt hat. Nicht einmal Howard weiß es. Ich behielt das Geheimnis für mich, weil ich meine Mutter liebte, niemanden sonst in meinem ganzen Leben! Und nur ich und Roger Hinds haben sie geliebt!«
    Sie sprach mit unleugbarer Überzeugung.
    Ich unterbrach sie. Ich wollte nicht, daß sie sich in Erinnerungen verlor, die zu einer gefährlichen Besessenheit geworden waren.
    »Eine Kiste großer Klappmesser lag unbestellbar auf der Station. Ihr Vater kaufte sie und verkaufte die Ware an die Farmer, und das war der Anfang seines Versandunternehmens. Ich habe davon gelesen.«
    Sie nickte.

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