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Don't worry, be German. Ein Ami wird deutsch

Titel: Don't worry, be German. Ein Ami wird deutsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Doyle
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Wälder verlassen, ins Stadtgebiet ziehen, Müllsäcke aufschlitzen und den Straßenverkehr behindern, dann wird mir das alles einfach zu viel.
    Einmal sprach ich mit einem Freund über dieses Thema. Ich zählte ihm meine »Stress-Hitliste« auf, und als ich fertig war, meinte er nur: »Ich gratuliere, John! Du bist endlich in Deutschland angekommen!« Und dann fügte er noch an: »Und jetzt brauchst du nur noch Freizeitstress.«
    Aber das mit dem hohen Stresspegel hier in Deutschland wurde laut einer Studie des Forsa Instituts im Jahr 2009 belegt. Es hat herausgefunden, dass 80 Prozent der Deutschen ihr Leben als stressig empfinden und dass jeder Dritte sich über Dauerdruck beklagt. Und nicht nur das! Sogar manche deutsche Hausfrauen fühlen sich stärker gestresst als Führungskräfte. Das habe ich nicht gewusst.
     
    In Amerika redet man zumindest viel weniger über Stress als hier in Deutschland. Ich finde das schade, denn ich kann mir vorstellen, dass viele Amerikaner sicherlich genauso gestresst sind wie die Deutschen. Aber im Gegensatz zu den Deutschen wird der Stress in den USA eher verdrängt, verleugnet oder durch unsere optimistische Grundhaltung klein geredet.
    Aber in Deutschland ist es genauso wie bei den Krankheiten. Der eine sagt: »Ich habe Stress« und der andere antwortet: »Ich auch.« Schüler sagen zu ihren Kumpels: »Ich habe Stress mit meinen Eltern«, Eltern zu ihren Freunden: »Ich habe Stress mit meinen Kindern« und Angestellte: »Ich habe Stress mit meinem Chef.« Viele Chefs sagen genau das Gleiche. Und es dauert nicht lange, dass man als Amerikaner feststellt: »Hey, in diesem Land bin ich nicht alleine mit meinem Stress. In Deutschland leiden alle darunter!«
     
    Ich glaube, dass das Stressgefühl oft noch zusätzlich von der Presse verstärkt wird. Es schneit ein bisschen in Bayern, und prompt ist in der Zeitung von »Schneechaos« die Rede. Dann fallen auch noch ein paar Stromleitungen aus, und am nächsten Tag liest man vom »Stromchaos in Bayern«.
    Dieses Wort »Chaos« findet man überall in den deutschen Medien. Hier eine kleine Auswahl:
    » WETTER - CHAOS IN DEUTSCHLAND «, ›Focus‹
    » IMPF - CHAOS IN DEUTSCHLAND «, ›Bild‹
    » FDP WARNT VOR JOBCENTER - CHAOS «, ›Das Handelsblatt‹
    » CHAOS - FANS ZWINGEN FLIEGER ZUR LANDUNG «, ›Kölner Express‹
    » STURM - UND FLUG - CHAOS BEENDEN TRAUM - URLAUB « ›Bunte‹
    » CHAOS - TAGE IN BERLIN : MERKELS MIESE WOCHE « ›Spiegel online‹
    Wenn ich alle diese Meldungen lese, dann verstehe ich die Leute hier in Deutschland, die behaupten: »Es ist stressig, alles geht den Bach runter«, »alles ist heutzutage total stressig.« Denn das ist tatsächlich der Eindruck, den man durch solche Überschriften bekommt. Ich persönlich bin nicht dieser Ansicht, denn wenn ich solche Meldungen lese, denke ich weniger, dass »das tatsächliche Chaos« hier in Deutschland ausgebrochen ist, sondern viel eher, dass viele Zeitungen und Zeitschriften und Fernsehsendungen in diesem Lande nur ein Ziel verfolgen: ihre Auflage beziehungsweise ihre Einschaltquote zu erhöhen.
    Ich habe vor allem in den letzten Jahren hier in Deutschland gelernt, dass Stress zum Teil auch Einstellungssache ist. Vielleicht sogar eine Frage des Selbstwertgefühls. Ich habe Freunde, die im Grunde nicht so viel zu tun haben, aber ständig behaupten, wenn ich sie etwas frage: »Ich kann gerade nicht reden, ich bin total im Stress.«
    Dann gibt es wiederum andere Leute, die unheimlich viel zu tun haben, bei denen man aber trotzdem das Gefühl hat, sie haben überhaupt keinen Stress.
    Einen solchen Typen habe ich vor einigen Jahren kennengelernt, während ich eine Sendung für den WDR im
Sauerland drehte. Sein Name war Heinz, und was mir an ihm besonders imponierte, war die Tatsache, dass er überhaupt keinen Stress zu haben schien, obwohl er wirklich viel zu tun hatte. Er war gerade dabei, Tische für das alljährliche, große Schützenfest im Ort aufzustellen, und während er das tat, hat er sich ganz entspannt mit mir unterhalten.
    Ich fragte ihn: »Und was machen Sie, wenn Sie Freizeit haben, Heinz?« Seine Antwort war knapp: »Vereinsarbeit.« Und als ich ihn fragte, was er so machte, wenn er keine Vereinsarbeit zu erledigen hätte, gab er an: »Gartenarbeit.« Meine letzte Frage lautete: »Aber Heinz, ist das nicht ein bisschen zu viel Stress für Sie? Neben dem ganz normalen Job auch noch so viele Nebentätigkeiten?« Er antwortete mir ganz gelassen:

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