Doppelbelichtung
Erinnerung wäre zutreffender«, beschied ihn Rose Britton von oben herab, »wenn du wie ich an Ort und Stelle gewesen wärst, als sie in ihrem wundervollen blauen Ballkleid, das ja unbedingt königsblau sein mußte, weil das deine Lieblingsfarbe war, wieder hinaufging und es auszog. Ich habe keine Ahnung, wer dir in den Kopf gesetzt hat, du wärst nicht ihre erste Wahl gewesen, aber wenn du - wie ich - gehört hättest, wie sie sich an diesem Abend in den Schlaf geweint hat, könntest du es nie mehr vergessen!« Auch wenn vieles für ihn ungereimt blieb, wußte Spencer instinktiv, daß Coreys Großmutter die Wahrheit gesagt hatte. Seine Nichte wußte es auch. Beschämt blickte er in die anklagenden Gesichter, während ihn die Vorstellung quälte, wie sein goldenes Mädchen in ihrem königsblauen Kleid die Treppe herunterstieg und am Fenster auf ihn wartete. Er dachte daran, wie sich Corey in den Schlaf geweint hatte, und ihm wurde buchstäblich übel. Er hatte keine Ahnung, warum sie ihm diese Geschichte mit dem Ersatzbegleiter vorgeschwindelt hatte, aber als er Mrs. Foster ansah, die jeden Blickkontakt mit ihm vermied, war eines sonnenklar: Alle hatten gewußt, was Corey für ihn empfand, nur er nicht.
Er blickte zu Corey hinüber, aber sie hatte die Ellbogen auf den Tisch gestützt und die Hände vors Gesicht geschlagen. Erfüllt von Abscheu über sich selbst starrte er sein Weinglas an und dachte an seine selbstgefällige Bemerkung über das Einhalten von Verpflichtungen. Kein Wunder, daß sie seinen Anblick nicht ertragen konnte.
»Corey«, begann er und suchte unbeholfen nach Worten, »das wußte ich nicht. Ich hatte doch keine Ahnung ...«Zu seinem Entsetzen begannen ihre Schultern zu zucken. Sie weinte!
>>Bitte, Corey, nicht ...«, haspelte er hervor und fürchtete sich davor, die Hand nach ihr auszustrecken. Vermutlich würde das alles noch schlimmer machen.
Ihre Schultern zuckten noch heftiger.
»Es tut mir leid«, murmelte er mit fast versagender Stimme. »Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll...«
Ihre Hände sanken herab, und Spencer starrte ungläubig in zwei lachende blaue Augen, die ihm mit amüsierter Sympathie anfunkelten. »An deiner Stelle«, riet sie ihm mit vor unterdrücktem Lachen glucksender Stimme, »würde ich es jetzt dabei belassen und mich zurückziehen. Wenn Grandma nicht ganz überzeugt ist, daß du dich schuldig genug fühlst, kann es nur noch schlimmer werden.« Ihre Verwandlung von einer kühlen Fremden zu seiner bezaubernden Verbündeten kam so plötzlich, so unverdient, daß Spencer von einer Woge zärtlicher Zuneigung überwältigt wurde.
Er stand auf, zwinkerte Rose Britton zu und streckte Corey die Hand entgegen! »In diesem Fall ziehe ich einen Rückzug vor, um ihr nicht die Genugtuung zu geben, Augenzeugin meiner bußfertigen Zerknirschung zu werden.«
»Eigentlich sollte ich>bußfertige Zerknirschung< von dir verlangen«, erklärte Corey mit dem ansteckenden Lächeln, das er schon immer geliebt hatte, »aber dazu ist es zu spät. Ich habe die ganze Sache längst vergessen und vergeben. Ich habe sogar einige der alten Fotoalben mit meiner anderen Ausrüstung herschicken lassen, um sie dir zu geben. Du siehst, es besteht absolut kein Anlaß für dich, hinauszugehen und mir gegenüber >bußfertig zerknirscht< zu sein.«
Spencer umfaßte ihren Ellbogen. »Aber ich bestehe darauf«, erklärte er mit ruhiger Entschlossenheit.
Joy stand hinter Corey auf. »Ich glaube, ich sollte jetzt besser zu meinen Eltern und ihren Gästen gehen.«
Mrs. Foster wartete, bis die drei außer Hörweite waren. »Mutter«, seufzte sie auf, »mußte das denn sein?«
»Ich habe lediglich die Wahrheit gesagt.«
»Manchmal kann die Wahrheit weh tun.«
»Wahrheit bleibt Wahrheit«, beharrte die alte Dame und erhob sich langsam. »Und es ist nicht zu leugnen, daß Spencer eine Standpauke und Corey eine Entschuldigung verdient hat. Beides habe ich heute abend erreicht. Und für beide ist es sehr viel besser so.«
»Falls du hoffen solltest, daß es jetzt zwischen den beiden funkt, nachdem du die Sache bereinigt hast, so irrst du dich sehr. Corey ist der lebende Beweis für das gute alte Sprichwort vom gebrannten Kind, das das Feuer scheut. Das hast du selbst oft genug gesagt.«
»Nun, auch das ist die Wahrheit.«
»Meinst du nicht«, begann Mrs. Foster und wandte sich damit dem grundsätzlichen Problem zu, »daß du dir die Wahrheit häufiger denken und seltener aussprechen
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