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Doppelgänger

Doppelgänger

Titel: Doppelgänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Brunner
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ihm, dass auch sie es noch nicht konnten.
    Und selbst wenn sie einen Sinn ergeben würden, fühlte er, wäre der alles andere als erfreulich. Er war noch nicht lange bei der Polizei und bislang größenteils mit solchen Tätigkeiten befasst gewesen, wie er sie Doreen beschrieben hatte: Parkzettel unter die Scheibenwischer von falsch parkenden Autos zu stecken und alte Damen zu verhören, die beim Ladendiebstahl erwischt worden waren.
    Heute jedoch spürte er den Geruch des ersten wirklichen Kriminalfalles seiner Karriere in der Luft. Schon als nichts weiter feststand, als dass Miss Beeding verschwunden war, hatte er sich darüber einige Gedanken gemacht; später, als klar wurde, dass sie möglicherweise Opfer eines Verbrechens geworden sein konnte, hatte er sich noch stärker damit beschäftigt. Und jetzt, wo er unterwegs war, um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, ob sie tatsächlich in der Nervenklinik war, wie es Chief Inspector Neville ihm versichert hatte, fühlte er sich zutiefst verstört.
    »Verdammt, ich habe sie aber in Brindown gesehen!« sagte er zu der klaren Luft. Er lenkte den Roller in die letzte Kurve der Landstraße, bevor sie auf die Autostraße stieß, und musste kurz vor der Einmündung scharf bremsen, als ein riesiger Tanklastzug, der wahrscheinlich zum Depot für organische Säuren wollte, in die Landstraße einbog.
    Aber wie – diese Überlegung ging ihm durch den Kopf, während der Tanklastzug langsam durch die Kurve gesteuert wurde – konnte man eine Erklärung für Miss Beedings Aussehen finden, das der Arzt als ›füllig‹ bezeichnet hatte? Sie war magerer als eine Ratte, und war es immer gewesen!
     
    »Hier ist sie«, sagte Dr. Nimms und schob die Inspektionsklappe in der Tür der kleinen Zelle zurück, in der Miss Beeding untergebracht worden war.
    Dr. Nimms war ein großer, derber Mann mittleren Alters, dessen leichter Sommeranzug erschreckend mit der Kleidung seiner Patienten kontrastierte, die Sellers bei seinem Weg durch die Stationen gesehen hatte. Sie trugen schäbige, zu oft gewaschene Baumwollanzüge oder Kittel. Nur wenige hatten ihre eigene Kleidung behalten dürfen, und fast alle zeigten einen identischen, leidenden Gesichtsausdruck, der zu seiner eigenen, düsteren Stimmung passte, mit Ausnahme von einigen, die ihn mit unverständlichem, idiotischem Grinsen anstrahlten. Die Klinik drückte seine Stimmung noch tiefer, und er hoffte, die Anstalt rasch wieder verlassen zu können.
    Er blickte gehorsam durch die offene Inspektionsklappe.
    Der kleine Raum hinter der Tür – fast zu winzig, um eine Zelle genannt werden zu können, jedoch die entsprechende Einrichtung enthielt: eine Pritsche, ein Schränkchen, einen Hocker – war fahlgelb getüncht, und die Wände waren mit zahlreichen Namen und obszönen Kommentaren beschmiert. Das einzige Fenster war winzig, vergittert und befand sich in mehr als zwei Metern Höhe. Unter ihm, zwischen dem Kopfende des Bettes und der rechten Wand, stand eine Gestalt, die er klar erkennen konnte.
    Eine Art Miss Beeding. Aber …
    Er atmete tief durch. Wie Dr. Nimms gesagt hatte, war diese Frau alles andere als schwächlich und hager. Ihre Arme und Beine, soweit sie aus den graubraunen Kleiderfetzen hervorsahen, waren beinahe aufgedunsen; ihr Gesicht wirkte schlaff, lappig, und die Haut der Wangen hing über die Kieferpartie herab. Ihre Augen waren rund und ausdruckslos, und ihre Stirn, die er als tief zerfurcht in Erinnerung hatte, war so glatt wie die eines neugeborenen Kindes.
    »Sie sieht wie Miss Beeding aus«, sagte er schließlich zweifelnd.
    »Was wollen sie damit sagen, ›sie sieht wie sie aus‹?« sagte Nimms.
    »Sie wirkt irgendwie anders, erheblich dicker«, sagte Sellers. »Ich verstehe das alles nicht.«
    »Es gibt tatsächlich Zustände, durch die sehr rasch Fett oder Wasser im Gewebe gespeichert wird«, sagte Nimms knapp, »aber das geschieht niemals über Nacht. Sollten wir nicht lieber hineingehen und sehen, wie sie auf einen Menschen reagiert, den sie kennt? Sie kennen sie doch, nicht wahr?«
    »Wie man’s nimmt«, sagte Sellers. »Sie schien immer genug Geld zu haben, um am Samstag etwas betrunken zu sein. Ihre Altersrente, nehme ich an. Und wir haben sie fast an jedem Wochenende über Nacht einschließen müssen, damit ihr nichts passierte.«
    Er trat zurück, als Nimms die Tür aufschloss, nahm all seinen Mut zusammen und trat hinter dem Arzt in die Zelle.
    Miss Beeding ( war es Miss Beeding? Aber wer konnte

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