Doppelgänger
nicht helfen, da sich sonst sein Gefangener befreien und ihn selbst angreifen würde.
Er sah, wie die Kreatur, die Rory angegriffen hatte, ihn jetzt zum Beckenrand schleppte, das Wasser mit ihren aaldünnen Beinen zu Schaum schlug und ihn mit den langen Armen so weit von sich hielt, dass er wehrlos war.
Doch plötzlich ging ein Ruck durch ihren grotesk verlängerten Körper, und sie begann zu zucken wie ein Froschbein bei einem galvanischen Experiment. Rory nützte seine Chance. Er machte sich frei, warf ebenfalls sein Netz über die Kreatur und verhinderte ihre Versuche, nach ihm zu greifen, durch heftige Stöße mit seinem Dreizack.
Tom versuchte zu erkennen, was Rory aus seiner gefährlichen Lage gerettet hatte, und dann wusste er es: auf dem Boden des Beckens lag das lange Stahlrohr, das Gideon wie einen Speer geschleudert hatte, als die Kreatur an die Oberfläche gekommen war.
Danach brauchten sie nur noch zu warten. Innerhalb von knapp fünf Minuten erstarb das Schlagen und Stoßen der in den Netzen gefangenen Kreaturen, und nachdem Tom und Rory sich durch Kopfnicken verständigt hatten, schwammen sie mit ihrer Beute zum Rand des Beckens, wo Sellers und die Mitglieder der ›Hermetic Tradition‹ sie packten, aus dem Wasser wuchteten und sie zu dem Gefängnis zurückschleppten, aus dem sie auf so brillante Weise entkommen waren. Und jetzt war die Austrittsöffnung des Lüftungsschachts mit Holz und Krampen verschlossen.
Sie waren noch dabei, einander zu dem Erfolg zu gratulieren – Nettas Augen strahlten, als sie Tom küsste, und Rory bedankte sich bei Gideon für seine Hilfe, die der Westinder mit Achselzucken und verlegenen Bemerkungen zurückzuweisen versuchte –, als sie das Motorengeräusch eines Wagens hörten. Und dann kam Chief Inspector Neville um die Ecke des Gebäudes; sein Gesicht sah aus wie ein Gewittersturm, und er rief nach Dr. Innis.
Innis ging auf ihn zu, und die anderen fragten sich, was geschehen sein mochte. Schließlich sagte Netta: »Ich hätte nie gedacht … oh, mein Gott! Wenn der Gestaltwechsler, den wir hier hatten, essen und eine neue Form annehmen musste, muss inzwischen ein anderer Mensch von dem übernommen worden sein, der noch in Freiheit ist!«
Sie liefen auf Dr. Innis und Neville zu und fragten, ob es ein weiteres Opfer gegeben habe.
»Ein weiteres Opfer?« bellte Neville. »Mich! Das ist alles! Der Chief Constable hat mich seit halb neun Uhr zusammengestaucht, weil ich gestern die Armee zu Hilfe gerufen und Straßensperren errichten habe lassen! Er will mir ein Disziplinarverfahren anhängen und hat die Suchaktion auf ein Maß zusammengestrichen, wie man es vielleicht bei einem simplen Autodiebstahl vertreten könnte! Sie haben die Soldaten nach Hause geschickt und eine Untersuchung eingeleitet. – Jesus, das macht mich krank! Dieser aufgeblasene, sture, alte Idiot!«
»Aber das dürfen sie nicht!« rief Innis empört. »Wir hatten heute morgen hier einen Unfall. Einer unserer Mitarbeiter, der nicht darüber informiert worden war, was sich im Bruthaus befand …« Seine Stimme erstarb.
»Ist sonst irgendwo ein Mensch als vermisst gemeldet worden?« fragte Netta.
»Das ist doch die verdammte Krux dieser Geschichte!« schnaubte Neville. »Wenn einer verschwunden wäre, würde der alte Idiot das vielleicht begreifen, aber es geht nicht in seinen stupiden Schädel hinein, dass es ein paar Menschen zuviel gibt! Er hält mich für verrückt. Und inzwischen streift dieser Monster ungehindert durch das ganze Land!«
28
Sergeant Branksome stand am Schreibtisch des Constables vom Dienst – eigentlich hätte Sellers hier sein müssen, doch der war zur Meeres-Forschungsstation abgestellt worden – und sah die Post durch. Ein diskretes Räuspern ließ ihn aufblicken, und er sah einen jungen Mann in einer Art Uniformjacke vor dem Schreibtisch stehen.
»Ah … Morgen, Sergeant«, sagte der Mann verlegen. »Ich sollte dies wohl eigentlich der Polizei von Coastley melden, aber …« Er zögerte eine Sekunde lang, dann fuhr er entschlossen fort: »Ich traue mich nicht, weil ich die Burschen zu gut kenne!«
»Was ist passiert?« fragte Branksome seufzend.
»Es war … ich heiße Pete Morley und arbeite zur Zeit bei der Contract Security als Nachtwächter im Hafen von Coastley. Und … ich weiß, es klingt albern, aber mein Hund ist verschwunden.«
»Was?«
»Wirklich. Ein riesiger Schäferhund. Hört auf den Namen Ajax. Ich hatte ihn drei Jahre lang – habe
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