Doppelte Schuld
Vater …
»Ist dir nicht gut, Katalina?« Sie standen vor der Tür zu Martens Wohnung. Tenharden legte den Arm um ihre Schulter, und beinahe hätte sie sich an ihn gelehnt und geweint.
»Geht schon«, flüsterte sie. Der Mann vorgestern hatte Fragen gestellt, bevor er ging. Freundliche Fragen, die ihr dennoch voller verborgener Botschaften zu sein schienen. Ob sie noch Verwandte oder Freunde habe in Bosnien. In Mostar.
Sie folgte Tenharden die Treppe hoch. Irgend jemand hatte sie in der Nähe des Toten gesehen, da war sie sich sicher. Den Blanckenburgern entging nichts. Sie würden bald kommen, die Männer von der Polizei. Und sie hatte Angst vor deren Fragen.
Marten lag blaß in den Kissen, und der Raum war viel zu warm. Sie machte die Fenster weit auf.
»Der Pferdedoktor«, sagte der alte Mann und lächelte sein zahnloses Lächeln.
Aber Katalina lächelte nicht zurück. Sie roch es gleich. Es roch nach faulendem Fleisch. Als sie den schmutzigen Verband von seinem Fuß löste, wäre sie fast zurückgewichen. Schwarze Wundränder, gelber Eiter. An einer Stelle sah man den blanken Knochen.
Sie säuberte die Wunde und legte einen neuen Verband an. »Er muß ins Krankenhaus.«
Tenharden nickte ausweichend, aber sie wußte, was er dachte. Aus dem Krankenhaus würde ein Mann wie Marten nicht mehr zurückkommen.
Zeus, der im Auto auf sie gewartet hatte, leckte mitleidig ihre Hand. Während der Fahrt saß er auf dem Beifahrersitz, hielt den Kopf aus dem halbgeöffneten Fenster und ließ die Ohren im Fahrtwind flattern. Sicher lachten sie wieder alle, die das sahen, die Blanckenburger, die Touristen, die Menschen auf der Straße, die einen der wahrscheinlich letzten goldenen Spätsommertage in diesem Jahr genossen. Aber Katalina blickte stur geradeaus, lächelte nicht, grüßte nicht. Es mußte ja niemand sehen, daß sie mit den Tränen kämpfte.
Vor dem Kutscherhaus standen fünf Pfauen und steckten die Köpfe zusammen. Als sie die Tiere sah, sank ihre Laune unter die Grasnarbe. Das hatte sie schon einmal erlebt, daß die Tiere um etwas herumstanden, das sich als Pappkarton entpuppte, in dem sich etwas bewegte. »Los«, zischte sie. Begeistert trabte Zeus los und ließ die Bande auffliegen, er mochte Pfauen genausowenig wie sie. Und tatsächlich: Da stand etwas. Man benutzte sie offenbar wieder einmal als Ersatz fürs Tierheim. Hamster, an denen sich die Kinder sattgespielt hatten, den Wellensittich, den nach dem Tod seines Frauchens niemand mehr haben wollte – alles, was zu Hause störte, landete bei ihr.
Das, was in der Kiste war, gab keinen Laut von sich. Katalina öffnete vorsichtig den Deckel, Zeus stand aufmerksam an ihrer Seite. Aus dem Karton hob sich ein winziger rosafarbener Rüssel, und kleine flinke Augen unter langen Wimpern schauten von Frau zu Hund und wieder zurück. Das Ferkel quiekte protestierend, als sie es hochnahm.
Zeus betrachtete das seltsame Tier ohne Pelz mit zur Seite gelegtem Kopf. Dann begann sich seine Rute zu bewegen, und er fuhr dem rosafarbenen Tier mit der Zunge über das Gesicht. Nach einer Schrecksekunde schloß das Schweinchen die Augen und ließ sich abschlecken. Katalina fühlte sich getröstet. So etwas brachten nur Tiere fertig.
Nach einer Weile nahm sie Zeus das Ferkel aus den Pfoten und ging mit ihm ins Haus. Mit Nuckelflaschen kannte sie sich aus.
Die Polizei kam, als sie mit einem Glas Rotwein vor dem Haus auf der Bank saß, auf dem Boden ein mit einem Handtuch ausgelegtes Körbchen, in dem das Ferkel schlief, bewacht von Zeus, der sich aufführte wie eine pflichtbewußte Muttersau.
»Das ist mein Kollege Jens Sager«, sagte Polizeihauptkommissar Köster, der ihr seinen Ausweis hinhielt, als ob es besser wäre, sie sähe nicht hin. »Wir kennen uns ja schon.«
Kennen ist zuviel gesagt, dachte Katalina. Sicher, die beiden waren bei ihr gewesen, vor drei Jahren, als es auf Schloß Blanckenburg schon einmal »Ermittlungsbedarf« gegeben hatte, wie die beiden das nannten. Aber sie erinnerte sich nicht gern an diesen Besuch. Sie erinnerte sich überhaupt nicht gern an alles, das wie ein Verhör aussah. Das ein Verhör war.
»Sie hatten kürzlich – Besuch in Ihrer Praxis?« Köster schaute grimmig, und Sager lächelte nett.
»Wer in eine Tierarztpraxis kommt, ist wohl kaum zu Besuch. Und wen meinen Sie? Ich habe meine Kunden zu zählen vergessen.« Katalina versuchte, ihre Angst mit Schnoddrigkeit zu übertönen, und fixierte Sager, der etwas in seinen
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