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Doppelte Schuld

Titel: Doppelte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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das Fell zottelig und schmuddeligbraun, das linke Ohr abgeknickt, die Schnauze zu spitz, die Beine zu kurz.
    »Das ist unsere Tierärztin«, hatte Frau Willke gesagt. »Katalina Cavic. Sie wohnt oben, beim Schloß.« Und dann hatte die Willke unnachahmlich anzüglich gelächelt. »Im Kutscherhaus. Offiziell. Aber wenn Sie mich fragen …«
    Die Frau, die sie vorgestern früh auf dem Kirchplatz beobachtet hatte, war also die Tierärztin. Katalina Cavic, ein jugoslawischer Name. Sie hatte schon bei Marys Anblick erschrocken gewirkt und war kreidebleich geworden, als Frau Willke mit der Nachricht von dem Toten im Schloßpark ins Restaurant platzte. Mary war vor allem erleichtert darüber gewesen, daß es nicht Gregor war, den man tot gefunden hatte. Aber wen hatte man gefunden? Wann war er gestorben? Und wovor hatte die Tierärztin Angst?
    Lux gähnte. Mary versuchte, sich in die dritte Brokatübung zu versenken, hob die Hände, streckte die Arme und war froh, daß die Zimmer im Hotel Viktoria Luise licht und hell und hoch waren. Vor ein paar Wochen hatte sie in einem historischen Gasthof unter dem Dach genächtigt und war morgens beim Dehnen und Strecken der Arme an die Zimmerdecke gestoßen.
    Die Tierärztin. Katalina, wie alle sie nannten. Wenn es in einer Kleinstadt wie Blanckenburg jemanden gab, der alles wußte, was wissenswert war, dann war es der Tierarzt. Vielleicht auch noch der Apotheker. Der Kneipenwirt nur, was die Männer betraf. Mary überlegte, welches Gebrechen sie Lux andichten konnte, ohne daß sofort auffiel, daß pure Neugier sie in die Tierarztpraxis trieb. Aber war es wirklich Neugier – oder lediglich eine Vorsichtsmaßnahme?
    Erst bei der fünften Brokat-Übung war sie wieder bei sich: Die Übung, die sich »Das Gesäß schwenken und das Feuer aus dem Herzen vertreiben« nannte, verhieß Entspannung und Abschied von Ärger und Zweifel. Als sie ins Bad ging, war sie guter Dinge. Dennoch vermied sie den Blick in den Spiegel, das empfahl sich nicht, wenn eine viel zu helle Leuchtstoffröhre jede Falte gnadenlos ausleuchtete. Sie bürstete ihre Haare, flocht sie zu einem Zopf und steckte ihn hoch. Sorgfältig zog sie sich die Lippen nach. Sie brauchte Farbe heute, mehr denn je.
    Im Flur roch es nach Kaffee und frischem Brot. Lux lief schweifwedelnd vor ihr her und begrüßte erst Frau Willke, dann deren alten Haushund und schließlich Agnes, die das Frühstück servierte. Es fiel Mary auf, daß Lux längst nicht mehr so diszipliniert war, wie sie hätte sein sollen. Sie durfte das Training mit dem Tier nicht schleifenlassen. Ein Blindenführhund hatte bei seinem Meister zu bleiben, anstatt mit Hinz und Kunz anzubandeln.
    Durch die großen Fenster des Speisesaals sah man das Schloß im Dunst liegen, noch war nicht zu erkennen, ob es wieder einen sonnigen Spätsommertag geben würde oder einen jener Tage, an denen der verschleierte Himmel wie ein Sargdeckel über allem liegt.
    Frau Willke stand über einen älteren Herrn gebeugt, der mit einer Zeitung in der Ecke saß und offenbar ein Stammgast war. Mary beneidete den alten Herrn um seine Zeitung. Sie hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, die Todesanzeigen zu studieren, den Durchschnittswert zu ermitteln und daraus zu errechnen, wieviel Zeit ihr noch blieb. Wer nicht schon mit 60 abtrat, hatte beste Aussichten auf ein hohes Alter. Insbesondere Frauen waren offenbar nicht totzukriegen. Sie hatte also mit hoher Wahrscheinlichkeit noch ein paar Tage – gute Tage, hoffte sie, trotz schmerzender Schulter.
    Endlich richtete sich Frau Willke auf, ordnete ihr beeindruckendes Dekolleté, mit dem sie dem weißhaarigen Mann gewiß eine Freude gemacht hatte und kam an Marys Tisch.
    »Gibt’s was Neues?« fragte Mary. »Weiß man schon, wer der Tote war?«
    Die Willke bemühte sich, ein einigermaßen betroffenes Gesicht zu machen. »Mein Neffe, wissen Sie, der arbeitet bei den Maltesern.«
    Mary zeigte sich angemessen beeindruckt.
    »Der hat gehört, daß es zu äußerer Gewaltanwendung kam.« Willke lächelte das Lächeln der Eingeweihten.
    »Also Mord oder Totschlag«, sagte Mary, um ihr den Gefallen zu tun.
    »Also Mord«, sagte Frau Willke. »Schon wieder.« Sie machte ein Gesicht, als ob sich Blanckenburg auf seine Mordrate etwas einbilden könne.
    »Und wer ist der Tote?«
    Die Willke zuckte mit den Schultern, »Niemand von hier.«
    Niemand von hier. In Blanckenburg schienen sich viel zu viele Männer aufzuhalten, die nicht »von hier« waren und

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