Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Doppelte Schuld

Titel: Doppelte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
Vom Netzwerk:
Herzschlag beschleunigte. Der Mann versuchte es mit der primitivsten aller denkbaren Erpressungen. Aber es funktionierte.
    »Sehen Sie«, sagte der Glatzkopf und schlug die Beine übereinander. »Sehen Sie, Herr von Bergen, Sie haben völlig recht, wenn Sie uns empfehlen, sich doch direkt an Ihre Mutter zu wenden. Das Problem ist nur, daß Ihre Mutter uns womöglich nicht freiwillig sagen möchte, was wir wissen wollen. Schließlich hat sie sich unrechtmäßig angeeignet, was ihr nicht gehört.«
    »Das sagen Sie.«
    »Das weiß ich. Und wir bemühen uns, ihr die Lage klarzumachen, ohne zu den alleräußersten Mitteln zu greifen.«
    »Und was wäre das, nach Entführung und Freiheitsberaubung? Folter?«
    »Aber nicht doch. Das ist nicht unsere Art. Wir möchten nur gewisse Entscheidungsprozesse, wie soll ich sagen, beschleunigen.« Der Alte hielt ihm wieder die Zigarettenschachtel hin, bevor er sich selbst eine anzündete. »Nicht, daß wir Ihnen etwas zuleide tun wollen – höchstens im äußersten Notfall –, aber was meinen Sie: Wäre Ihre Frau Mutter womöglich einsichtsfähig, wenn wir ihr eines Ihrer Ohren schickten?« Der Glatzkopf lächelte, als ob er ihm ein Kompliment gemacht hätte.
    Und endlich platzte Moritz der Kragen. »Was soll der Blödsinn, und wer sind Sie, verdammt?«
    Der andere lächelte, offensichtlich unbeeindruckt. »Beruhigen Sie sich, Herr von Bergen, das wissen Sie doch längst. Wir sind alte Kollegen Ihrer Mutter.«
    Alte Kollegen. Und endlich begriff er. ›Sie muß etwas Wichtiges erledigen.‹ Großvater hatte versucht, ihn zu trösten, als er wieder einmal untröstlich war. ›Sie tut das für dich und für mich. Sie hat dich lieb.‹
    »Sehen Sie, Herr von Bergen: Ihre Mutter ist 1951 zu uns in die DDR gekommen, weil sie der Sache des Sozialismus dienen und an der Seite der Arbeiterklasse kämpfen wollte. Darauf können Sie stolz sein.«
    Dem Sozialismus dienen. Am liebsten hätte Moritz gelacht, aber es preßte ihm die Kehle zusammen. An der Seite der Arbeiterklasse kämpfen.
    »Ich glaube Ihnen kein Wort.«
    Der Alte nickte und lächelte und zog an seiner Zigarette.
    Aber es würde so vieles erklären. Daß ihre Briefe immer so viel später ankamen als das Datum, unter dem sie geschrieben waren. Daß sie bedauerte, ihn zu seinem Geburtstag nicht besuchen zu können. Warum? hatte er damals gedacht. Warum kommt sie nicht? Warum schickt sie diese Schokolade, die nicht schmeckt?
    Es würde so vieles erklären. Und es zerstörte die letzte Hoffnung, die er insgeheim gehabt hatte: daß es einen guten Grund für ihr Verschwinden gab, einen großen, guten, geheimnisvollen Grund. Moritz fühlte, wie sein Magen sich zu einer harten kleinen Faust ballte.
    »Sehen Sie«, sagte der andere mit einem satten Lächeln in der Stimme. »Im Unterschied zu Ihrer Mutter haben wir uns entschlossen, ehrlich zu werden. Wir arbeiten heute mit denen zusammen, die früher unsere Gegner waren. Wir sind da entspannt.« Das Lächeln wurde breiter. »Man nennt mich nicht umsonst ›die Katze‹.«
    Moritz wollte sich die Ohren zuhalten, die Augen schließen, fortlaufen. Fort von den Gedanken, die sich in seinem Kopf einzunisten versuchten. Marie Mathilde von Bergen hatte fürs Ministerium für Staatssicherheit der DDR gearbeitet und war der Sache offenbar bis heute treu geblieben. Sie hatte ihren Sohn vor langer Zeit im Stich gelassen, sie würde sich auch jetzt nicht für sein Wohl interessieren. Selbst Gregor hatte sie nicht nach Blanckenburg zu locken vermocht. Unter Sirius schien sie nicht mehr den alten Kosenamen für ihn zu verstehen, sondern den Codenamen für irgendeine undurchsichtige kriminelle Operation.
    Die Gedanken in seinem Kopf spielten Pingpong. Natürlich ist sie wegen Gregor gekommen, flüsterte der eine. Warum sollte sie ihren alten Freunden, die keine mehr waren, freiwillig in die Arme laufen?
    Aber wer ist Gregor, flüsterte ein anderer. Ein lieber alter Herr? Oder ein Mann mit zweifelhaften Freunden? Denk an das Gerede von den alten Geschäftspartnern, die ihr Geld angeblich ausgerechnet in Schloß Blanckenburg versenken wollen. Moritz hatte das Gefühl, langsam im Morast zu versinken.
    Der Glatzkopf sah ihn verständnisvoll an. »Alle Mütter lieben ihre Söhne, sogar Marie. Man wird älter, man wird weiser. Vielleicht leidet sie ja auch an Alterssentimentalität. Spätes Bereuen, was weiß ich. Aber sie ist hier. Das ist die halbe Miete.«
    »Und was soll ich tun? Bei ihr anrufen und

Weitere Kostenlose Bücher