Doppelte Schuld
sie anbetteln, zu ihrem Sohn zurückzukommen?«
Der Mann rutschte auf dem Stuhl nach vorn. »Wir wollen, daß Ihre Mutter zurückgibt, was ihr nicht gehört.« Sein Gesicht hatte seine Bonhomie verloren. »Und beten Sie zu Gott, daß die gnädige Frau sich bald entscheidet. Ein Mann braucht beide Ohren. Für den Hut.«
»Wie gut kannten Sie meine Mutter?« Moritz stellte die Frage, als ob sie noch wichtig wäre.
»Wir waren Kollegen«, sagte der Alte und steckte Feuerzeug und Zigaretten ein, während er aufstand. »Zeitweilig auch mehr. Ich lasse Ihnen etwas zu essen bringen.« Er ging zur Tür und drehte sich noch einmal um.
»Ich werde ihr sagen lassen, daß Sie nach ihr verlangen, Herr von Bergen. Sehnsüchtig.«
Moritz verbrachte den Rest des Tages zusammengekauert auf der Pritsche, ohne die Pizza anzurühren, die man ihm hingestellt hatte, und verfluchte den Tag, an dem er begonnen hatte, nach Mathilde von Bergen zu suchen.
Bevor er irgendwann endlich einschlief, durchzuckte ihn wieder der Gedanke, daß sie ihn in seinem Gefängnis vermodern lassen würde, so, wie sie ihn damals allein gelassen hatte. Und daß auch zwei seiner Ohren sie nicht würden umstimmen können.
Was täten die Entführer dann? Katalina?
Nicht auszudenken.
9
Was für ein Tag, schrecklich von Anfang an. Katalina war schon um fünf Uhr aufgewacht und hatte nicht wieder einschlafen können. Der Albtraum ließ sie nicht los, ihre alten Peiniger hatten darin eine Rolle gespielt, aber auch eine neue, nicht minder böse Macht. Und zum Schluß hatten sie Moritz in der Gewalt gehabt. Er kniete auf dem Boden, um die Augen eine weiße Binde, hinter ihm standen Männer in Kapuzen, Gewehre in der Hand. Gleich würden sie ihn exekutieren. Sie war rechtzeitig erwacht, um zu begreifen, daß sie die Bilder aus einer anderen Entführung geträumt hatte, weit weg, in Gegenden, wo andere Sitten und Gebräuche herrschten. Aber ganz sicher war sie sich nicht mehr, daß es das alles in Deutschland nicht gab, in diesem gelobten Land, wie Moritz ihr einreden wollte, wenn er ihre Ängste für übertrieben hielt.
Das Frühstück war eine Qual. Das Brot quoll in ihrem Mund auf zu einem ungenießbaren Brocken. Sie trank zuviel Kaffee und hätte Kette geraucht, wenn nur Zigaretten dagewesen wären. Was tun? Die Polizei anrufen?
»Wenn er entführt worden ist, werden sich die Entführer melden. Bis dahin können wir rein gar nichts tun.« Es war der fünfte Anruf seit gestern früh, und jetzt klang sogar Jens Sager fast mitleidig.
Katalina machte das Nichtstun rasend. Sonn- und Feiertage waren nie ihre Lieblingstage gewesen, aber heute vermißte sie die Ablenkung ganz besonders, die ein Tag in der Praxis normalerweise bot. Auch Zeus war erleichtert, als sie endlich die Regenjacke anzog und sich mit ihm auf den Weg machte. Sie liefen hinunter nach Cattenstedt, streiften Timmenrode und nahmen dann den Weg zurück über die Teufelsmauer. Aber auch das half nicht.
Sie ertappte sich bei der Hoffnung, der Hund würde irgendwo Witterung aufnehmen und wie durch ein Wunder Moritz finden, durstig und halb verhungert, aber unverletzt. Zeus bemühte sich zu helfen, aber ihre Anweisungen und Bitten, die wahrscheinlich immer dramatischer klangen, schienen ihn zu verwirren.
Vor der Aussicht, alleine zu Hause zu sitzen und an den Fingernägeln zu kauen, flüchtete sie sich zu Walter Faber.
Der Apotheker hatte Bereitschaftsdienst, die Tür stand weit offen, als ob er frische Luft benötigte. Er sah wie ein mittelalterlicher Quacksalber aus, wie er da stand und in den Schubladen seines großen alten Apothekenschranks kramte. Faber drehte sich erst um, als sie mit Zeus fast vor ihm stand. Er wurde wohl schwerhörig, er mußte weit über siebzig sein.
»Bist du sicher, daß er entführt worden ist?« Faber stützte sich mit beiden Händen auf die Verkaufstheke und sah sie zweifelnd an. Ausnahmsweise verirrte sich sein Blick nicht in ihren Ausschnitt. »Ich meine – die Polizei …«
»Walter! Glaubst du, Moritz ist mal eben Zigaretten holen gegangen, um niemals wiederzukommen? Er hatte keinen Grund zu verschwinden.« Sie merkte, wie ihr die Stimme versagte.
Walter sah sie an, als ob er »Wer weiß« sagen wollte oder »Verstehe einer die Männer«.
Und wenn er wirklich eine andere hat? flüsterte es in ihr, klein und verzagt. Na wenn schon. Dann hätte er es gesagt.
»Außerdem liegt Gregor im Krankenhaus. Und ihn hätte Moritz bestimmt nicht im Stich
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