Doppeltes Spiel (German Edition)
Ehefrau eines angesehenen Mitglieds einer noch angeseheneren Kanzlei zufriedenstellend erledigt hätte und dass damit einer Heirat von seiner Seite nichts mehr im Wege stünde.
Lysette musste sich zwingen, ihn anzulächeln. Sie musterte sein gutgeschnittenes Profil und suchte nach Ähnlichkeiten zwischen ihm und seinem Bruder. Form und Farbe der Augen waren gleich, auch die Kinnlinie. Beide Brüder hatten einen schönen Mund, dessen Ausdruck bei Nicholas von Tatkraft und Entschiedenheit zeugte, während um Philippes Mund ein Zug von Schwäche und Haltlosigkeit lag.
Lysette seufzte und blickte zum Himmel. Der Mond stand voll und rund im Zenit und tauchte den Garten in ein zauberhaftes Licht, bei dem man beinahe erwartete, Elfen und Einhörner aus den nachtschwarzen Büschen treten zu sehen. Sie trank einen großen Schluck heißen Tee, der beruhigend nach Kräutern und Gewürzen schmeckte. Morgen musste sie unbedingt mit Margo telefonieren. Sie hatte eine E-Mail ihrer Schwester auf dem Blackberry vorgefunden, in dem Margo etwas von Hektik und viel Arbeit geschrieben hatte, und dass Lysette sich bitte nur melden möchte, wenn etwas wirklich Dringendes vorlag.
Dringend? Wie dringend war es, ihrer Schwester von dieser Heirat abzuraten? Oder mischte sie sich da in Dinge ein, die sie nichts angingen? Vielleicht würde Margo mit diesem Philippe ja sogar glücklich werden. Er konnte ihr einen luxuriösen, glanzvollen Lebensstil bieten, Sicherheit, ein schönes Haus, Reisen und Essen in erstklassigen Restaurants, gesellschaftliche Anerkennung, ein tolles Auto, ergebene Hausangestellte ...
Lysette streckte seufzend die Beine aus. Das alles war ein Traum, für den wahrscheinlich jede Frau gerne ein kleines Stück ihrer Selbstständigkeit aufgeben würde. Aber ein Leben an Philippes Seite - mon dieu . Der Preis wäre ihr persönlich viel zu hoch.
Sie trank den Tee aus und stand auf. Für morgen hatte Philippe einen Ausflug zu einem ›Geheimtipp von Restaurant‹ in der Ardèche geplant und übermorgen stand ihr das erste Treffen mit der furchterregenden Tante bevor. Und, noch schlimmer, ein Wiedersehen mit Nicholas, während sie für seinen Bruder Margo spielte - Margo, die Mondäne. Margo, die Zicke.
Lysette schauderte und rieb sich über die Arme. Sie fürchtete sich mehr vor Nicholas enttäuschtem Blick als vor der Begegnung mit seiner Tante - und das wollte etwas heißen!
5. Kapitel
»H ast du schlechte Laune?« Tante Geneviève schaute über den Rand ihrer Lesebrille und ließ den Brief sinken, den sie gerade aus seinem Umschlag gezogen hatte. Auf dem kleinen Mahagoni-Beistelltisch wartete noch ein Stapel ungeöffneter Briefe darauf, von ihr gelesen zu werden.
Nicholas hörte auf, mit finsterer Miene den winzigen Schnitt an seinem Kinn zu betasten, den er sich am Morgen beim Rasieren zugefügt hatte, und lächelte seine Tante an. »Alles in Ordnung, tata . Ich habe nur nachgedacht.«
Tante Geneviève überflog den Brief und griff nach dem nächsten. »Wo ist der Brieföffner? Ah, da.« Sie schnitt die Hülle mit einer geübten Bewegung auf und zog den Brief heraus. »All die lieben Menschen, die an meinen Geburtstag gedacht haben«, sagte sie.
»Du vergisst ja auch nie einen Geburtstag.« Nicholas lehnte sich zurück und sah zum Fenster in den sinkenden Abend. Das Licht der untergehenden Sonne vermischte sich mit dem weichen Schein der Stehlampe und verlieh der rosenholzfarbenen Seidentapete einen unwirklichen Schimmer. Die silbernen Schalen, das Porzellan und die Ziergegenstände, die in der Vitrine standen, leuchteten geheimnisvoll auf dem dunklen Holz. »Worüber hast du nachgedacht, chéri ?«
»Philippe«, erwiderte er kurz. »Und natürlich über Margo.« Er schüttelte unwillkürlich den Kopf.
Seine Tante nahm die Brille ab und sah ihn fragend an. »Du hast noch gar nicht erzählt - wie war der Tag mit ihr?«
Nicholas schaute grüblerisch auf seine Hände nieder. »Mortemart zieht sich zurück«, sagte er ausweichend.
Seine Tante nickte ein wenig ungeduldig. »Philippe hat es mir natürlich gleich erzählt. Der arme Victor. Ich rede ihm schon seit ein paar Jahren zu, dass er ein bisschen kürzertreten soll. Das war schon sein zweiter Herzinfarkt, peuchère !«
Victor Mortemart war ein alter Freund der Familie. »Ja, der Arme«, stimmte Nicholas automatisch zu. Er runzelte die Stirn.
»Nun erzähl schon.« Tante Geneviève schenkte sich und ihm aus der Cafetière nach, die auf einem silbernen
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