Doppeltes Spiel (German Edition)
»La Vigne et sa culture« und »Vignobles et vins des Côtes-du-Rhône». Der Besuch auf dem Weingut hatte ihr Interesse geweckt und sie wollte beim nächsten Mal ein paar kluge Fragen stellen und mit ein wenig Fachwissen glänzen.
Beim nächsten Mal. Lysette seufzte. Das würde es wohl kaum geben. Nicholas musste ja jetzt nicht mehr das Kindermädchen für die Verlobte seines Bruders spielen.
Apropos Verlobte - Lysette schaute auf die Uhr. Es war eine gute Zeit, um Margo anzurufen und ihr von dem Heiratsantrag zu berichten. Wenn das keine dringende Angelegenheit war, dann wusste sie nicht, was sonst wichtig sein sollte.
Mit dem Buch und ihrem Smartphone in der Hand ging sie in die Küche, um sich eine Tasse Kaffee zu holen. Sandrine, die gerade die Spüle trocken wischte, lächelte sie an. »Ich muss gleich ins Dorf, ein paar Besorgungen machen. Brauchen Sie etwas, Madame?«
»Nein, vielen Dank, Sandrine.«
Die Haushälterin nickte und band ihre Schürze ab. Lysette schüttete sich einen Becher Kaffee ein, überlegte kurz, wo sie das Telefonat erledigen wollte und entschied sich für den Garten, weil der Empfang im Haus so schlecht war.
Die kleine Bank im hinteren Teil des romantisch überwucherten Gartens war ihr schon am ersten Tag aufgefallen. Dort stand ein großer, alter Feigenbaum, der kühlen Schatten spendete. Lysette legte die Bücher auf die Bank, stellte den Becher darauf und wählte Margos Nummer, während sie sich hinsetzte.
Es klingelte ein halbes Dutzend Male, dann hörte sie die Stimme ihrer Schwester in der Ferne: »Ja? Lys, was gibt es?«
Lysette ärgerte sich nicht über die kurz angebundene Begrüßung. Margo war immer ungenießbar, wenn sie ein wichtiges Shooting hatte.
»Philippe hat dir gestern Abend einen Heiratsantrag gemacht«, antwortete sie deshalb nicht weniger kurz.
Einen Moment lang herrschte Stille am anderen Ende. Lysette lauschte geduldig dem Rauschen der Verbindung. Dann hörte sie wieder Margos Stimme: »Ja? Sehr schön. Ich dachte schon, er ringt sich nie dazu durch.«
Lysette konnte es sich nicht verkneifen: »Danach haben wir uns ein wenig gestritten und er ist zu seiner maîtresse gefahren.«
Schweigen. Dann: »Und?«
»Er ist immer noch bei ihr, denke ich. Ich bin allein im Mas.«
Sie hörte Margo seufzen. »Mach dir keine Gedanken«, sagte sie dann kühl. »Er streitet sich gerne, wenn etwas nicht nach seinem Kopf geht. Heute Abend wird er mit einem Strauß Rosen oder einem teuren Ring angeschlichen kommen und vor lauter schlechtem Gewissen ganz zuckersüß zu dir sein.«
Lysette konnte nicht an sich halten: »Du weißt es und hast nichts dagegen, dass er sich eine Geliebte hält?«
Margos Lachen klang unbeschwert. »Liebes, wir sehen uns vier- oder fünfmal im Jahr. Soll ich ihn etwa dazu verdonnern, ein Mönchsleben zu führen? Das mache ich ja auch nicht.«
Lysette nahm das Smartphone vom Ohr und sah es fassungslos an. Dann schüttelte sie den Kopf. »Ihr passt gut zusammen«, sagte sie ironisch.
»Ja«, erwiderte Margo praktisch. »Er ist erfolgreich, er sieht blendend aus, er ist ein guter Kumpel, mit dem man viel Spaß haben kann. Er hat Geld und stammt aus einer der ältesten provenzalischen Familien. Ich werde es genießen, seine Frau zu sein. Wenn er sich daneben ein bisschen Vergnügen mit einer seiner kleinen Freundinnen gönnen will, dann soll er es ruhig tun. Umso weniger geht er mir auf die Nerven.«
Lysette schnaubte.
»Gesundheit«, sagte Margo. »Gibt es sonst noch etwas?«
Lysette verneinte und sagte dann schnell, bevor Margo auflegen konnte: »Nicholas.« Im gleichen Moment hätte sie sich am liebsten geohrfeigt.
»Was ist mit ihm?«, fragte Margo.
»Nein, nichts. Ich habe nur - er ist sehr nett.«
Sie hörte Margo lachen. »Verbrenn dir nicht die Finger an ihm, Kleine. Hast du den niedlichen Ami nicht gesehen, mit dem er zusammenlebt?«
»Jetzt fang du auch noch an«, fauchte Lysette und schaltete wutentbrannt das Smartphone aus.
Der Kaffee war inzwischen kalt geworden. Lysette trank ihn trotzdem, schüttete den Rest auf die Wurzeln des Feigenbaums und vertiefte sich in das Buch über Weinbau. Ein Wörterbuch hätte nicht geschadet, dachte sie. Aber die Fachausdrücke stehen ja wahrscheinlich auch nicht im Larousse.
Sandrine schien nicht da zu sein, der Citroën war weg. Auch Philippes Peugeot stand nicht an seinem gewohnten Platz im Carport.
Nicholas kaute ärgerlich auf seiner Unterlippe herum. War Philippe mit seiner
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