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Dorfpunks (German Edition)

Dorfpunks (German Edition)

Titel: Dorfpunks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
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unsere Familien verteilt. Ich landete mit einem Malersohn aus Schmalenstedt in dem kleinen Haus einer Arbeiterfamilie, deren Oberhaupt Brian hieß, ein Muskelberg, rothaarig und sympathisch. Als Begrüßungsessen gab es Hähnchen mit Pommes mit Spaghetti mit Spaghettisoße über alles rüber. Wir fanden das komisch, aber Brians Frau hatte die Hände in die Hüften gestemmt und schaute uns streng und stolz an, also aßen wir alles artig auf.
    Dann mussten wir jeden Tag in die Englischschule. Schon wieder Schule, wie ich es hasste! Unsere English Mummy gab uns immer Päckchen mit Sandwiches mit Mixed Pickles mit, die wir so ekelhaft fanden, dass wir den Inhalt an einer Hausecke abschmierten und das Brot dann trocken aßen. An der Hausecke wuchs ein Poller aus Mixed Pickles, sie sah aus wie ein dickes krankes Kind. Brian nahm uns mit zu Sandbahnrennen und zum Angeln im Meer, und er brachte uns Vokabeln wie «bloody wanker» bei, wofür wir ihn sehr mochten. Ich fand England cool. Wie die sich dort benahmen, diese überall spürbare Härte bei gleichzeitiger Freundlichkeit! Wir waren in der Heimat von Punk und sehr stolz darauf.
    Abends durften wir bis elf draußen bleiben, wir gingen ins Kino oder spielten Billard. Eines Nachmittags machten wir einen Ausflug ins benachbarte Bournemouth. Dort sollte es einen großen tollen Park geben, wo wir abhängen wollten. Wir waren zu viert, die Beckers, ich und ein Punk aus Raisdorf namens Kalle. Er war der erste Punk mit Iro, den ich kannte, den hatte er sich gleich nach der Ankunft in England schneiden lassen. Einheimischen Punks waren wir zu unserer Verwunderung erst wenigen begegnet, wir wussten ja nicht, dass das Ding hier schon längst wieder out war. Was es heißt, in zu sein, hatten wir begriffen, aber dass nach in irgendwann halt out kommt, hatten wir noch nicht auf der Reihe. Wir dachten, wir wären für immer in der hipsten Jugendbewegung der Welt.
    Wir hingen also an einem Flussufer rum und tranken aus einer Martiniflasche, die Malte mitgebracht hatte. Irgendwann sahen wir einen Trupp kurzhaariger Typen mit Springerstiefeln durch den Park laufen und winkten sie fröhlich zu uns rüber. Es waren englische Skinheads. Wir wussten nicht, was Skinheads sein sollten, und hielten sie für Punks mit besonders kurzen Haaren. Es gab ein großes Hallo, und wir machten auf kumpelig, stolz darauf, endlich auf echte englische Punks getroffen zu sein. Die Jungs staunten nicht schlecht, spielten aber mit, weil sie nicht verstanden, warum wir nicht vor ihnen geflüchtet waren. Sie waren in der Überzahl und definitiv härter. Als Erstes nahmen sie uns die Martiniflasche weg und tranken sie aus. Das verstanden wir nicht, wir fanden das bescheuert, warum machten die das denn? Dann kam der Chef von ihnen an. Er hatte etwas längere Haare, eine fette Tätowierung auf dem Arm und wedelte mit so einem kleinen Union-Jack-Wimpel. Flo wollte sich ein bisschen lustig machen und nölte irgendwas von «Fuck England» und «God shave the Queen», was aber eher nett und kumpelig gemeint war. Wir hatten ja keine Ahnung von dem bescheuerten Nationalstolz der Engländer. Sofort fing der Typ an, Flo mit dem Wimpel durch das Gesicht zu fahren, und dann legte er mit der flachen Hand nach. Dabei blieb er ganz ruhig. Das war das Zeichen für die anderen. Sie fingen wie auf Kommando an, uns zu bespucken, zu treten und zu ohrfeigen. Wir waren total perplex. Was war denn jetzt auf einmal los? Was waren das denn für ungeile Punks? Malte schaltete am schnellsten. Er schrie uns zu, dass wir hier abhauen sollten, und wir rissen uns los und rannten wie um unser Leben. Die Skins blieben lachend stehen. In sicherer Entfernung und vollkommen außer Atem drehten wir uns um und schrien ihnen zu, dass sie ja wohl echte Arschlöcher seien. Wenigstens das. Die hatten uns nicht umsonst runtergemacht.
    Danach waren englische Punks für mich gestorben. Wie viel besser waren doch unsere SH-Punks, wie frisch, gut und neu war Punk in Ost-Holstein. Dieses England hier konnte man vergessen, es hatte seine besten Momente offensichtlich hinter sich.
    Immerhin brachte ich ein paar gute Scheiben, Klamotten und Badges mit. Eine Single der Members («Flying Again»), «Who Killed Bambie?» von den Pistols und die erste Duran-Duran-Single. Killing-Joke-Buttons, ein Shirt mit Wayne County/Jane County drauf … Immerhin. Beute fürs Dorf. Nun war ich Pilger, und ich war in Jerusalem gewesen. Aber Jerusalem stand nicht

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