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Dorfpunks (German Edition)

Dorfpunks (German Edition)

Titel: Dorfpunks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
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Warhead
    Fliegevogel hatte von seiner Mutter einen Monstergitarrenverstärker geschenkt bekommen, einen Ampeg mit 200 Watt, es war ein Brüllwürfel, ein echter Trommelfellzerstörer. Er brachte ihn mit, und wir fingen an zu proben. Fliegevogel spielte Gitarre, ich saß am Schlagzeug und sang. Nach kurzer Zeit kam Günni Herrmann dazu. Er war einer der coolsten Mopedpunks der Gegend und hatte den original Jebs-Helm, noch mit der alten Form. Günni spielte Bass und hatte einen eigenen Verstärker. Wir trafen uns regelmäßig zum Proben. Unsere Musik war grauenhaft, denn außer unserem begeisterten Dilettantismus hatten wir nichts, weder Kraft noch Tempo, noch Eigenständigkeit. Wir wollten so klingen wie UK Subs. Warum, weiß ich eigentlich gar nicht, ich hörte so gut wie nie UK Subs. Wir nannten uns Warhead, nach einem Titel der Band. Das klang cool. Wir probten unsere sechs selbst geschriebenen Stücke immer wieder. Dadurch, dass ich Schlagzeug spielte und gleichzeitig sang, konnte ich weder Tempo noch Melodie halten. Unsere Texte waren stark von Slime beeinflusst. Es waren Texte gegen Krieg und gegen die Bullen.
    Ich seh sie stehen
    Ich seh sie starten
    Ich seh sie fliegen
    Und explodieren
    Ich seh die Menschen
    Wie sie schreien
    Wie sie laufen
    Und krepieren
     
    Daaas ist unsre Politik
    Sie fördert nur den Atomkrieg
    Allerdings hatten Slime die Kraft, mit ihrer Musik Stahlwände zu durchbrechen. Wir dagegen waren Schlaftabletten in Lederjacken. Das wussten wir natürlich nicht. Fliegevogel zersäbelte uns die Ohren mit seinem voll aufgedrehten Ampeg, Schlagzeug und Bass konnte man gar nicht mehr hören, was ihm nur recht war. Der Klang drang durch die Heizungsrohre ins Wohnzimmer meiner Eltern und raubte ihnen den letzten Nerv. Es war schlechte, nervige Musik, und es war ein Soundschutzwall gegen sie. Sie tun mir nachträglich Leid. Während wir uns über Monate kontinuierlich nicht verbesserten, meldeten wir uns bei einem Talentwettbewerb an, denn wir hatten das Gefühl, dass wir uns kontinuierlich verbesserten.
    Unser erster Auftritt war im Schmalenstedter Soldatenheim. Dort fand ein großer Band-Contest statt, dessen Gewinner mit einem Titel auf einer Schallplatte vertreten sein sollte. Sieben Bands nahmen teil, ein Duo, das Simon and Garfunkel perfekt imitierte, «Big Bobel», die Haschisch-Bluesrock improvisierten, einige semiprofessionelle Bands aus dem weiteren Umland, die mit gewaltigen Anlagen auftauchten und Bombast-Rock à la Chicago oder Toto produzierten. Es gab Norbert, der «Ein bisschen Frieden» von Nicole vortrug, und es gab uns.
    Wir mussten vor vierhundert johlenden «Rotärschen» auftreten, so nannten wir die Wehrdienstleistenden. Natürlich hatten wir versucht, eigene Fanscharen zu organisieren, und es waren tatsächlich etwa dreißig Kumpels da, die uns unterstützen wollten.
    Wir kamen als Dritte dran. Vor uns waren «Big Bobel» mit ihrem Song «Big Bobel» auf der Bühne. Ich konnte dieses Hippiegedudel nicht ertragen, obwohl sie hundertmal besser spielten als wir. Ihr Scheißtext handelte vom Kiffen, und das verachteten wir sowieso. Danach gab es die perfekte Simon-and-Garfunkel-Imitation, die kriegten viel Beifall, waren aber langweilig.
    Dann wurden wir auf die Bühne gerufen. In einem kurzen Interview erklärte ich, dass wir «Warhead» hießen und Punks seien. Ich war so unsicher wie noch nie in meinem Leben. Unsere Fans johlten. Schließlich spielten wir unser Stück runter, es hieß «Work». Drei öde Akkorde und ein mauer Text über die Langweiligkeit des normalen Berufslebens. Ich glaube, zu dem Zeitpunkt waren wir schon ein bisschen von The Cure infiziert und dadurch noch behäbiger als zuvor schon. Dieses Stück über Langeweile bot die perfekte Entsprechung von Form und Inhalt. Das Publikum johlte aus Verachtung und unsere Fans aus Anteilnahme. Zum Glück war nach vierzehn Minuten alles vorbei, und wir zogen unter Pfiffen von der Bühne. Wir schämten uns vor unseren Leuten, machten aber auf dick. Unsere Fans reagierten mit den ersten Trostfloskeln, die ich in meiner musikalischen Laufbahn zu hören bekam. «Was denn? War doch ganz gut.» Oder: «Der hintere Teil von dem Song ist echt geil!» Und so weiter.
    In der Wertung kamen wir auf den vorletzten Platz. Wir waren im Punksinne stolz darauf, wir waren Abfall.
    Letzter wurde Norbert, dem die unglückliche Kombination seiner Songauswahl und seiner Hasenscharte nicht eben zum Vorteil gereicht hatte, obwohl er

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