Dorfpunks (German Edition)
Anti-Nowhere League, Robert Wyatt, Psychic TV, Plastic Bertrand, Bowie, Iggy, New York Dolls, Richard Hell, Scritti Politti, The Fall, Blondie, Ramones, Dead Kennedys, Witch Trial, Pop Group, Kid Creole, Pig Bag, Gang of Four, Saints, Fehlfarben, Plan, Male, Der Moderne Man, Malaria, Exploited, Kraftwerk, Discharge, Hass, Slime, Rheingold, Andi Giorbino, Jonathan Richman, Bauhaus, The Boys, Fischer-Z, Zeltinger, Kassiber, Die Tödliche Doris, Andreas Dorau, Palais Schaumburg, Mittagspause, Swell Maps, PIL, DAF, KFC, ZK, FSK, ABC, OHL … Alles so wunderbare Musik.
Ich weiß noch genau, wie David uns das erste Mal einzählte, ich werde es nie vergessen: 4, 5, 12, äh, 6, 81, das war der erste Einzähler meines Lebens. Echt und genau so, ich hab’s auf Band.
Es begann ein derbes Geschrubbe ohne Rhythmus und Harmonien, David gab wirre Anweisungen und versuchte, es immer noch verrückter klingen zu lassen, dilettantischer Freejazz ohne Gesang. Das mochte er gerne. David redete von Blurt, Popgroup, James White, Arto Lindsay, aber es klang ganz anders, sehr eigen. Auf jeden Fall zeichnete es sich durch seinen enormen Beknacktheitsgrad aus. Ich nahm alles mit einem Kassettenrecorder auf. Nach zwei Stunden Nervkrach hatten wir genug. Wir beschlossen, über den Bandnamen zu reden, und David drückte Mu-Err durch, wie diese chinesischen Pilze. Wir waren eine Kunstband. Zum Glück probten wir nie wieder, aber wir erzählten noch wochenlang herum, wir wären jetzt ’ne Band.
Ich übte wieder alleine. Schlagzeug und Gitarre.
Meine schulischen Leistungen ließen enorm nach, und in der achten Klasse blieb ich sitzen.
Ich hatte Ärger mit den meisten Lehrern, war unkonzentriert, frech, aufmüpfig und provozierend. Alle Studienräte hassten mich. Bis auf einige, die mich nicht hassten. Ich machte keine Hausaufgaben mehr und übte auch nicht für Klassenarbeiten. Ich hasste sie alle, sie waren so spießig und langweilig, so festgefahren. Und sie wollten mich nicht, denn ich nervte.
Mein Gehirn sträubte sich vollkommen. Ich konnte ihre Welt, ihre Ideen und Leistungsansprüche nicht mehr denken, wirklich nicht. In den Klausuren stopfte ich mir die Aufgabenstellung in den Kopf und drückte sie mit aller Kraft in meine Denkmaschine, aber sie ging dort nicht rein, es war, als wenn alle Ventile zugedreht wären, als wenn der Schlüssel nicht ins Schloss passen würde. An der mangelnden Leistungsfähigkeit meines Gehirns lag es wohl nicht, es lag daran, dass es nichts für ihre Aufgaben leisten wollte. Da konnte ich mich noch so zwingen.
Nur in Deutsch, Kunst und Sport war ich ganz gut. Das hing mit den Lehrern zusammen, die setzten mich weniger unter Druck als die anderen. Aber Ärger gab es auch hier. Bei den Bundesjugendspielen wurde ich während des 2000-Meter-Laufs disqualifiziert, weil ich mich weigerte, in Sportkleidung anzutreten, und stattdessen in langen, zerfetzten Jeans lief. Man winkte mich von der Bahn, obwohl ich kurz davor war, den zweiten Platz zu machen.
Und dann gab es noch den Geschichtskurs Nationalsozialismus. Er wurde von Lehrer Meese geleitet. Meese war wirklich speziell. Er war groß, dick und hatte ein cäsarenhaftes Auftreten. Er saß im CDU-Kreisvorstand und fuhr Mercedes. Alles eigentlich absolute Hassparameter für mich. Aber seltsamerweise mochte er uns junge Punks und ließ uns das spüren. Oft lief er durch die Schulgänge und wurde von seinen Punks begleitet, die vorwegeilten und kleinere Schüler aus seinem Weg traten. Sie waren seine Leibstandarte. Auch ich konnte mir bei ihm alles erlauben, und weil er mir viel durchgehen ließ, strengte ich mich in seinem Unterricht an, und plötzlich funktionierte mein Hirn wieder. Er spitzte uns auf die Lokalgeschichte von Schmalenstedt an und empfahl uns, einmal die Papiere im Stadtarchiv durchzugehen, dann würden uns die Augen aufgehen. Ich weiß nicht mehr, was ich im Einzelnen herausfand, aber für meine Arbeit und mein Engagement bekam ich sehr gute Zensuren. Am Jahresende hatte ich im Zeugnis die einzige Eins meiner Oberschullaufbahn stehen.
Hölle im Land der Engel
1981 kam ich in den Sommerferien in den Schüleraustausch der Arbeiterwohlfahrt nach Poole in Südengland. Mehrere Schüler aus unserer Stadt fuhren mit, aber mich interessierten eigentlich nur Malte und Flo Becker. Sie waren die kleinen Brüder von David und ebenfalls Punks. Beide hatten auf wunderschönste Art alle Schrauben locker, die zu lösen sich lohnte.
In Poole wurden wir auf
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