Dorfpunks (German Edition)
dazugekommen. Die Rocker hatten sich langsam in Stimmung getrunken und starteten mit kleineren Tests an Einheimischen. Männern, die vorbeikamen, wurde mitgeteilt, dass sie jetzt nach Hause wollten. Wollten sie nicht, gab es erst mal eine normale Ohrfeige. Danach wollten die meisten. Die, die dann immer noch nicht wollten, wurden weiter gewatscht. Einer bekam eine Bierflasche über den Kopf; selbst wenn er gewollt hätte, hätte er nicht mehr nach Hause gekonnt, man trug ihn weg. Drinnen im Laden kam es zu derben Prügeleien, alles, was an widerstandsfähigem Mannsvolk da war, wurde klein geholzt.
Ich weiß gar nicht, warum wir Punks noch da waren, ich glaube, wir fühlten uns trotzdem sicher zwischen all dem Leder. Denn normalerweise wurden wir bei Meier von Bauern oder Soldaten attackiert, solche Probleme würden wir heute nicht haben. Ich stand auf der Tanzfläche vor der DJ-Kanzel. Sid war mittlerweile ziemlich betrunken und tanzte mit geschlossenen Augen zu «Radar Love». Er tanzte in einen leeren Kreis auf der Tanzfläche hinein, der umringt war von den derbsten Lederbrechern der Berliner Gang. Einer von ihnen ging von hinten zu Sid, steckte ihm die Zeigefinger unter die Achselhöhlen, hob ihn einen halben Meter hoch und stellte ihn zur Seite. Mir blieb fast die Luft weg. Aber Sid schnallte es nicht und machte einen Riesenfehler: Er wankte genau an die Stelle zurück, von der er eben entfernt worden war, und tanzte weiter. Das war zu viel für den Fleischberg hinter ihm. Er drehte Sid mit einer Hand um und zog ihm mit der anderen fachgerecht einen schweren Literkrug von oben nach unten durchs Gesicht. Sid brach zusammen wie ein nasser Sack, er war sofort ohnmächtig, sein Gesicht blutete überall. Ich sprang zu ihm hin und bückte mich, um ihn aufzuheben. Sofort traten mir die Scheißtypen in den Arsch und hörten damit nicht mehr auf, während ich Sid durch ein brüllendes Spalier der Bosheit aus dem Hauptraum zog. Das war der Kick, den sie gesucht hatten.
Ich brachte Sid in die Küche, wo er einen Verband bekam. Dann besorgte ich uns Bier, und wir flüchteten aus dem Haus, um uns auf der anderen Straßenseite hinter einer Hecke im Graben zu verstecken. Sid war wieder einigermaßen bei Sinnen. Drinnen brachen alle Dämme, eine Gewaltorgie begann, wie sie der Laden noch nicht erlebt hatte. Auf dem Klo wurden Frauen vergewaltigt, Männer blutig und ohnmächtig geschlagen, ein Rocker wollte aus dem Exzess aussteigen, weswegen die anderen seine Kutte auf der Tanzfläche verbrannten und ihn halb umbrachten. Die Schmalenstedter Polizei rückte zu acht an. Das war ein Fressen für die Lederprolls. Zwei Rocker drückten einen Polizisten rücklings in einen Stacheldraht, der wiederum schoss dem einen Rocker durch den Fuß, aber dem war das egal. Motorräder kippten um, Leute schrien, Polizeisirenen kreischten, ein Höllenlärm. Schließlich rückte ein Riesenaufgebot der Polizei an, und ein Großteil des Haufens wurde festgenommen. Es dauerte die halbe Nacht.
Angeblich wurde dem Anführer der «Born to be wild» am nächsten Tag in Kiel eine Anklageschrift verlesen, auf der schwerer Landfriedensbruch, Vergewaltigung, schwere Körperverletzung und einiges andere gelistet waren. Er hängte sich am Fensterkreuz auf. Angeblich. Ich hätte es verstanden.
Gen Italien
Flo und ich wollten zusammen in den Urlaub fahren. Ich schlug Italien vor, weil ich da mit meinen Eltern schon mal gewesen war und es mir sehr gut gefallen hatte. Ich redete mit meinen Eltern über unser Vorhaben, und während meine Mutter die üblichen Widerstände bot, willigte mein Vater gleich ein. Wahrscheinlich sah er nicht nur für mich eine Freiheitserfahrung, sondern auch für sich selbst. Er gab mir dreihundert Mark und sagte, damit müsse ich auskommen. Das war viel Geld, damit konnte ich wochenlang reisen, meinte ich.
An einem Morgen im Mai packten wir unsere Siebensachen zusammen und stellten uns mit unseren Rucksäcken in Schmalenstedt an die Trampstelle. Trampen war damals eine der beliebtesten Reisemethoden, es ging so: Leute ohne Autos halten Leute mit Autos an, rufen ihre Freunde aus dem Gebüsch, drängen sich auf den Rücksitz und führen peinliche Kennenlern-Unterhaltungen.
Schnell wurden wir von einem Typen, der nach Kiel musste, mitgenommen, und eine Dreiviertelstunde später standen wir auf der großen internationalen Abtrampe in Kiel, so was wie der Frankfurter Flughafen für Daumenreisende. Um unser Anliegen gleich von
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