Dorfpunks (German Edition)
vornherein klar zu machen, schrieben wir auf ein Pappschild in großen Lettern «ITALIEN». Damit stellten wir uns an die Straße. Aber es hielt niemand an. Die Leute glotzten uns nur an und schüttelten lachend die Köpfe. Warum denn? Stunden vergingen, einer von uns lag jeweils dösend auf den Rucksäcken, während der andere die Lachnummer hochhielt. Schließlich warf ich entnervt das Pappschild weg und hielt meinen schlichten Daumen in den Wind. Sofort hielt ein VW-Bus mit einem Pärchen an, das uns mitnahm. Wie sich herausstellte, wollten sie nach Italien. Wir waren mehr als froh, machten es uns gleich auf der Rückbank gemütlich und fühlten uns, ohne zu fragen, auf unbestimmte Zeit eingeladen. Die beiden waren um die dreißig, ungezwungen, offen, etwas alternativ. Da wir uns selber umbenannt hatten, boten wir auch ihnen Namen an, die uns gefielen. Will sagen, wir benannten sie nach eigenem Gutdünken um. Ihn nannten wir Dörthe und sie Ma Oschi. Die beiden ließen unseren Humor wie einen frischen, etwas unangenehmen Wind über sich ergehen. Wir unterhielten uns die ganze Fahrt, lümmelten hinten auf der Liegefläche rum, und abends zogen Florian und ich vor dem Bus in unser kleines, schrottiges Zelt. Wir stellten keinerlei Ansprüche an das Gelände; wo wir uns hinlegten, schliefen wir ein. Wenn wir aufwachten, war das filigrane Gebilde meist über uns zusammengebrochen, und wir lagen in einer Art Stoffsack. Da wir sparen wollten, beschlossen wir, Ma Oschis und Dörthes Vorräte mit uns zu teilen, und kamen damit ganz gut über die Runden. Dass die beiden langsam immer genervter aus der Wäsche kuckten, zog komplett an mir vorbei, mein Sensorium für Zwischenmenschliches glich eher einem Spaten denn einer Kompassnadel. Die beiden baten uns schließlich darum, dass jede Partei ab sofort für ihre eigenen Vorräte sorgen solle. Konsequenterweise verwies ich Dörthe am nächsten Morgen darauf, doch bitte nicht unsere Wurst anzurühren. Das war’s. Ihm platzte der Kragen, er schrie rum, bezeichnete uns als unverschämte Schmarotzer und schmiss uns aus dem Bus. An einer Haltebucht auf einer Landstraße mitten in Ligurien. Ich war verwirrt. Was war denn in den gefahren? Da muss man doch nicht gleich sauer werden.
Wir liefen zu Fuß die Straßen entlang, die von dschungelartigem Wald gesäumt wurden. Es war traumhaft schön. In einem kleinen Ort stiegen wir in die Bahn und fuhren mit ihr die Küste entlang. Die Schienenstrecke lief parallel zum Wasser und war über viele Kilometer in den Felsen geschlagen. Der Zug hielt in kleinen Orten, zu denen keine Straßen führten, der einzige Zugang war eben per Bahn. Schließlich kamen wir nach Portofino, wohin man allerdings mit dem Bus fahren muss. Damals war das kleine Fischernest noch nicht so touristisch überlaufen, aber die Reichen und die Schönen hatten sich bereits eingefunden, um sich gegenseitig ihre Fünfzig-Meter-Yachten vorzuführen. Ich fand den Ort wunderschön, aber die reichen Snobs in ihren weißen Limousinen verachtete ich. Während die am Abend nach einem erstklassigen Dinner in ihre Sechssternehotels gingen, hatten wir eine Dose Tulip Frühstücksfleisch verzehrt und krochen in ein Loch in einem Gebüsch, in dem wir uns auf den Boden legten. Wir waren glücklich. In den nächsten Tagen reisten wir weiter nach Florenz, übernachteten in Blumenrabatten und beteten die italienischen Frauen an. Die einzigen sexuellen Annäherungen an uns erfuhren wir allerdings durch Schwule. Die stellten uns überall nach. Beim Trampen im Auto, an der Straße oder nachts auf dem Bahnhofsvorplatz. Die italienischen Schwulen waren sexuell sehr aggressiv.
An einem kleinen Bahnhof in der Toskana hatten wir unsere Rucksäcke bei der Gepäckaufbewahrung deponiert, um uns ein wenig umzusehen. Als wir am Abend unsere Sachen abholen wollten, war die Dienststelle bereits geschlossen. Was sollten wir jetzt machen? Wir hatten nichts bei uns, kein Geld, keine Schlafsäcke, keine warmen Klamotten. Es half nichts, wir legten uns schließlich auf die Bänke auf dem Bahnhofsplatz und deckten uns mit Kartons zu. Ich schlief relativ schnell ein, aber Flo wachte irgendwann auf und sah, wie ein älterer italienischer Schwuler dabei war, die Kartons von mir abzudecken, um an den leckeren Inhalt darunter zu gelangen. Flo sprang auf und verjagte ihn mit viel Geschrei. Wir selbst machten auch, dass wir davonkamen, es war Mitternacht und es wurde immer kälter. Wir trugen nur Jeans und T-Shirts
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