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Dorfpunks (German Edition)

Dorfpunks (German Edition)

Titel: Dorfpunks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
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meinen Eltern, in Punkkreisen, bei allen. Schlager war spießig. 1983. Damit war was zu reißen. Ich fragte Schwaster, ob er nicht Lust hätte, mit mir zusammen Musik zu machen. Ich war damals schon relativ schnell im Finden von Akkorden und festen Melodienbögen, konnte ihm also musikalisch etwas bieten.
    Wir schrieben zusammen einen Song, ein Countrystück mit dem Titel «Chico war geritten». Der Text ging folgendermaßen:
    Chico war geritten dreizehn Tage lang,
    als er in die Stadt kam und Roswitha fand.
    Und er war verliebt, als er Roswitha sah,
    doch da kam Don Pedro, o sieh Vater da …
    Roswiitaaa
    Lass diesen Vagabunden in Ruh.
    Er verdreht den Frauen die Herzen
    und verdrückt sie dann im Nu
    usw.
    Was sich hier ein wenig holperig liest, klang gesungen richtig gut und schwungvoll. Die Akkorde hatte ich in zwei Minuten auf dem Klavier zusammen. Es war ein spitzenbeknacktes Schlagerstück, das im Heim schnell die Runde machte. Erst wollten es die jungen Insassen hören, dann kam auch der kleine obere Teil von Frau Vogel auf seinem Riesenunterteil herbeigeritten, um es sich vorspielen zu lassen. Alle Schüler und Lehrer waren versammelt, als Frau Vogel die Rede an Schwaster und mich richtete. Sie hätte da von einem tollen neuen Stück gehört, das im Heim die Runde mache, und würde uns bitten, ob wir dieses Stück nicht ihnen allen einmal vorsingen wollten. Wir waren unglaublich aufgeregt. Schwaster trug einen blauen abgetragenen Samtblazer, Kordhose und Gummistiefel und hatte sich seine naturblonden Strähnen, die ständig verschwitzt waren, eng ans Gesicht geschmiert. Ich hatte meine besten zerrissenen Punkklamotten an. Ich setzte mich ans Klavier und schlug den ersten Akkord an. Wir begannen zu singen, während das gesamte Heim in einer sonderbaren Idylle um unser Klavier stand. Am Ende gab es großen Applaus, und wir mussten «Chico» gleich noch einmal spielen. Ich war wie geblendet von dem Gefühl allgemeinen Zuspruchs. Es war das allererste Mal, dass ich von einer größeren Gruppe von Menschen für etwas geschätzt wurde, das ich erschaffen hatte. Das aus mir und uns kam, nicht von außen. Dies war unser beider und damit also auch mein privater Erfolg, mein bis dahin größter.
    In Schmalenstedt spielte ich das Stück ausgerechnet David vor, ich weiß nicht, warum, denn von ihm hätte ich am ehesten erwartet, dass er es verachten würde. Aber er reagierte ganz anders, meinte, das sei genial, ich solle den ganzen Punkschrott, den wir machten, vergessen. Das gab mir zu denken.
    Komischerweise schrieb ich nie wieder einen Song mit Schwaster Rühmann. Aber ich habe ihm gewissermaßen meine Karriere zu verdanken, denn ohne seine Initialzündung wäre ich heute vielleicht Hardrocker. Ich dachte über den unerwarteten Erfolg von «Chico war geritten» nach und beschloss, weitere Titel dieser Art zu schreiben. Aber wie sollte ich sie präsentieren, und mit wem? Ich war kein guter Instrumentalist und konnte mich schlecht auf das Singen bei gleichzeitigem Gitarrespielen konzentrieren. Schwaster konnte gar kein Instrument, und singen konnte er eigentlich auch nicht. Der Einzige, der begabt und gleichzeitig bescheuert genug war, dieses Projekt mit mir zu stemmen, war eindeutig Fliegevogel. Ich spielte ihm das Stück vor. Es gefiel ihm. Trotzdem probten wir vorerst weiterhin schlechten Punkrock.
    Ich würde gerne wissen, was Schwaster heute macht. Ich vermute, er segelt über einen Ozean aus Eierlikör.

Wald-, Höhlen- und Strandpunks
    Der Sommer 1983 war der Höhepunkt der Punkrockbewegung in Schmalenstedt. Sechs Jahre nach dem Höhepunkt in England. Unsere Gang hatte ihre Maximalzahl erreicht; wenn alle zusammen waren, zählten wir etwa vierzig Leute. In einem Fünftausendseelennest ist das ziemlich massiv. Bei Meier waren wir die Kings. Pinki spielte «Holiday in Cambodia» von den Dead Kennedys, The Clash mit «London Calling», «Follow the Leader» von Killing Joke, «Turning Japanese» von den Vapors, «The Forest» von Cure, viel Siouxie, Fehlfarben, Grauzone, DAF. Wir tanzten zu allem. Ich liebte «Pale Shelter» von Tears for Fears, und ABC ging total ab bei uns. Es gab keine Grenzen, erlaubt war, zumindest im musikalischen Rahmen, was Spaß machte.
    Wenn wir nachts nicht bei Meier waren, zogen wir durch die Gegend und bauten Mist. Sonny, Bea und ich brachen so viele Mercedes-Sterne von den Hauben wie irgend möglich. Wenn uns jemand fragte, wo die her seien, sagten wir, wir hätten sie vom

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