Dorfpunks (German Edition)
Flohmarkt. Komischer Flohmarkt. Wir sprayten auch viel. Einmal hinterließen wir überall in der Stadt Hakenkreuze. Das war natürlich aufklärerisch gemeint und sollte die Leute darauf aufmerksam machen, dass es überall Nazis gibt. Sackdoof.
Wenn es heiß war, fuhren wir zum Strand nach Grotewacht. Dort, wo die Touristen am engsten lagen, direkt am DLRG-Turm, hatten wir unseren Platz. Piekmeier war DLRG-Schwimmer und saß mit seinem blonden Stachelschnitt oben auf dem Turm. Ein Punk, bereit dazu, die zu retten, gegen die er rebellierte und die ihn verachteten. Silver Surfer. Eine Heldenpose. Das gefiel ihm.
Wir lagen zu Füßen des Turms und tranken Bier. Die Ostsee ist ein freundlicher, flacher Tümpel, und obwohl wir gerne Surfpunks geworden wären, war in der Hinsicht nichts zu holen, denn die durchschnittliche Ostsee-Wellenhöhe beträgt etwa vierzig Zentimeter. Wir spielten den ganzen Tag Wasserball oder Beach Ball und terrorisierten die Touristen. Wir hassten sie. Sie kamen hierher, zu uns, machten sich breit, nahmen uns unseren Platz weg, sahen scheiße aus und redeten in ekelhaften Dialekten. Der ganze Strand war voll mit Strandkörben, perfekte Entsprechung ihrer Wohnzellen zu Hause, aber das reichte ihnen nicht, sie mussten sich um jeden Strandkorb auch noch eine Sandburg bauen, mit Muschelaufschrift des Herkunftsortes. Ein Strand wie ein liegendes, flaches Hochhaus. Stündlich jagten Sonny, Bea, Fliegevogel, ich und die anderen in wechselnden Kombinationen über den Strand und zertraten dabei «versehentlich» alle Burgen. Es gab jedes Mal ein Riesengeschrei, und eine Hasswelle spülte über den Strand, die höher war als jede echte Ostseewelle. Das befriedigte unseren uneingestandenen und unreflektierten Lokalpatriotismus. Gegen Abend gingen die Touris essen, wir blieben. Jetzt war das Wasser leer und seifig, und man konnte sich breit machen. Ab und zu pennten wir am Strand. Direkt an der Promenade gab es ein Hotel, dessen Vorratsraum sonderbarerweise nie verschlossen wurde. Nachts gingen wir dorthin und bedienten uns. Wein und Bier gab es dort immer. Es war ein kleines Schlaraffenland, und wir waren schlau genug, nie zu viel zu nehmen, sodass wir jahrelang aus dieser Quelle schöpfen durften. Ansonsten klapperten wir die Strandbuden ab, viele Touris stellten ihre Biervorräte zum Kühlen vor die Hütte.
Manchmal zogen wir den Strand lang und checkten die Strandkörbe durch, ob hinter den Gittern irgendwas Brauchbares war, Badespielzeug und so Kram.
Eines Nachts waren Bea, Sonny und ich mit einem Punk aus Eutin unterwegs, der uns total breit hinterhertorkelte. Alle paar Meter zündete er einen Strandkorb an. Schließlich kamen wir bei unserem DLRG-Turm an und legten uns zum Schlafen hin. Hinter uns brannte der Strand, aber wir waren zu hacke, um dem besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.
Als wir am nächsten Morgen aufwachten, bot sich uns ein Bild der Verwüstung. Überall konnte man aufgebrochene, abgefackelte Strandkörbe sehen, einige rauchten noch, und zu unserer Schlafstätte führte eine breite Spur aus leeren Flaschen und geklauten Badeutensilien. Eine klarere Beweislage hätte es nicht geben können. Trotzdem scherte sich keiner um uns, ich weiß nicht, warum. Also packten wir unsere Sachen und trotteten davon.
Nachts konnte man ins örtliche Freibad einbrechen, das aus uns unerfindlichen Gründen keine dreißig Meter hinter der Ostsee lag. Das Wasser im Schwimmbecken war mit einer großen Plane zugedeckt, und auf die legten wir uns nackt. Es war wie ein gigantisches Wasserbett, das unter uns waberte, und über uns strahlte schwarz der Sternenhimmel. Bea und Sonny profitierten sexuell von der Situation. Ich nicht.
Wir waren gerne draußen. Abgesehen vom Strand gab es diverse Plätze, an denen wir feierten, bevor wir irgendwann in der Nacht zu Meier fuhren. Es gab so viele gute Plätze, und ihre wahre Qualität stellte sich erst raus, wenn man sie einmal «besoffen» hatte. War die gefühlte Qualität gut, wurde hier weitergetrunken.
Es gab den alten stillgelegten Bahnhof von Schmalenstedt. Ich kann mich noch erinnern, wie dort die letzten Passagierzüge hielten. Irgendwann kam hier nur noch die Bundeswehr mit Waffenlieferungen an, um sie in die Behrmann-Kaserne zu transportieren, das traurige und geheimnisvolle Menschendressurcamp im Westen unserer Stadt, in dem man Männer aus Holz schlägt. Der tote Bahnhof, das ausgetrocknete Aderwerk der rostigen Gleise zeigten deutlich, wie
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