Dorfpunks (German Edition)
Wirt, die Vordertür abzuschließen. Der aber zog sich aus Angst um Scheiben, Tür und Mobiliar hinter den Tresen zurück und dachte gar nicht daran, Bleiberecht für alle zu gewähren. Die Demo fing an, «Nazis raus!»-Chöre zu skandieren, und die Kampfhippies heizten sich gegenseitig nun so richtig auf. Erst wurden Barhocker aus der Pinte gereicht, aus deren Beinen man sich Prügel baute. Als dann so weit alles bereit war, reichte einer der Autonomen den ersten Skin wie einen eigens angefertigten Watschenmann nach draußen. Einem Bienenschwarm gleich stürzte sich die Meute auf den Trottel und prügelte mit allem zur Verfügung Stehenden auf ihn ein. Fäuste kamen zum Einsatz, Hockerbeine, Tritte mit Springerstiefeln, Knie, Ellenbogen, sogar Reizgas. In einem grölenden Strudel versank der schreiende Delinquent und tauchte erst Minuten später zwischen den Beinen eines Außenstehenden auf, um blutend und heulend wegzulaufen. Dann war der Nächste dran, und es ging verschärft weiter. Man hatte Angst, dass es zu schnell vorbei sein könnte, viele der Demonstranten sahen für sich eine einmalige politische Chance. Zur Gewalt. Ich habe nie mehr mit eigenen Augen einen derartigen Ausbruch von Gewalt einer Gruppe gegen Einzelne gesehen.
Nachdem alle drei Skins verarbeitet waren, gab es für die Anwesenden keinen Grund mehr, länger rumzustehen, und die Demonstration löste sich spontan auf. Am Kotti wurde dieser politische Sieg natürlich die ganze Nacht über ausgiebig gefeiert. Es gab aber auch mahnende Stimmen, die meinten, dass mit einer Antwort zu rechnen sei.
Am nächsten Nachmittag saßen wir wie immer am Kotti, wir waren vielleicht zu zehnt, als aus dem U-Bahn-Schacht lautes Gegröle zu uns drang. Einige Sekunden später standen dreißig Skinheads mit Baseballschlägern vor uns. Das Blut gefror mir in den Adern. Wir waren viel zu wenige, wir waren ihnen chancenlos ausgeliefert, ich rechnete mit dem Schlimmsten. Doch sie zogen einfach an uns vorbei, würdigten uns keines Blicks, wir konnten es nicht glauben. Sie marschierten rein nach Kreuzberg, vielleicht wollten sie zum Besetzer-Eck oder so. Zwei Minuten später kam ein gewaltiger Punk aus der U-Bahn, ein Riese in schwarzem Leder, der uns fragte, wo die Skins hingestiefelt seien. Wir wiesen ihm den Weg, und er ging hinterher. Was tun? Einige verpissten sich, weil sie keine Lust auf die Aufregung hatten, und wir gingen schließlich zu viert vorsichtig dem schwarzen Riesen hinterher. Eine Straßenkreuzung weiter trafen wir ihn, sein Gesicht war blau geprügelt, seine Lippen bluteten, er hatte sie augenscheinlich eingeholt. Sie waren marodierend durch die Oranienstraße gezogen und schließlich wieder Richtung Neukölln abgewandert. Warum sie uns am Kotti ignoriert hatten, bleibt mir für immer ein Rätsel.
Nach zwei Wochen hatten Bea, Sonny und ich keine Lust mehr auf den irgendwie schon demütigenden Schnorreralltag, und wir beschlossen zurückzureisen, dorthin, wo jeden Tag Essen von selber auf dem Tisch steht. Wir verabschiedeten uns mit Lambrusco von unseren neuen Freunden am Kotti, schnürten unsere Bündel und fuhren mit dem Bus an die Trampstelle nahe der Grenze. Ich weiß noch, dass es dort in einem kleinen Laden «Berliner Trinkkäse» gab, in kleinen Plastiktütchen. Den brachte ich als Reisegeschenk nach Hause mit. Und meine feuerroten Haare.
Die Amigos
Unsere Band hatten wir mittlerweile in Public Enemy No 7 umgetauft, das schien uns passender. Wir hatten bereits zehn Songs. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass sie alle scheiße waren, für unser damaliges Niveau waren vielleicht zwei gute dabei. In Gendedorf gab es ein altes Schulhaus, das zwei Künstler gemietet hatten. Sie planten eine Doppelausstellung mit dem Titel «Punks und Politiker». Der eine malte deutsche Politiker, der andere wollte eben Punks als Sujet und bat einige von uns, ihm Modell zu stehen. Speziell Bea und mich. Wir waren sehr angetan, ich hatte ein starkes Interesse an Kunst. Die Ausstellung war im Juli, und es wurde vereinbart, dass wir mit Public Enemy dort spielen sollten. Zu den Sitzungen erschienen wir auf ausdrücklichen Wunsch des Malers voll aufgemotzt im Punk-Outfit. Wir begriffen uns stolz als werdende Kunstwerke, als vorderste Reihe der Avantgarde. Und unsere Gemälde sahen gut aus, der Maler hatte uns getroffen.
Die Vernissage fand statt an einem wunderschönen Sommerabend. Viele aus unserer Gang lagen draußen im Garten und betranken sich, Kunstpublikum
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