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Dorfpunks (German Edition)

Dorfpunks (German Edition)

Titel: Dorfpunks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
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Johnny-Rotten-This-is-not-a-Lovesong-Klamotten. Im Frühjahr brachte ich ihr Wein und Blumen. Sie freute sich und ließ mich darben. Und hinter mir stand Jennifer, die für meine Sehnsucht bereit gewesen wäre. Das unfaire Karussell der Gefühle.
    An einem Frühsommerabend ging ich von Kirstens Hof auf dem Land zu Fuß los nach Schmalenstedt. Ich wollte zu Jennifer. Auf dem Weg kehrte ich in einer Fischerkneipe am Barnstedter See ein und trank dort Korn, vielleicht aus Frust, vielleicht aus Lust. Bei Kirsten hatte ich schon ein paar Bier getrunken. Wie üblich hatte sie ganz entspannt meine Sehnsucht an sich abgleiten lassen. Vom See aus trampte ich nach Schmalenstedt. Dort angekommen, ging ich die Umgehungsstraße entlang und überquerte diese dann. Die Abendsonne schien mir ins Gesicht, es war vielleicht acht Uhr.
    Ich wachte am nächsten Morgen um sechs in meinem Bett auf. Mein Gesicht fühlte sich geschwollen an, ich konnte kaum etwas sehen, überall hatte ich Schmerzen. Ich stand auf und ging ins Badezimmer, um mich im Spiegel zu betrachten, und bekam einen Mordsschrecken. Mein Gesicht war großflächig grün und blau gefleckt, ein Auge zugeschwollen, der rechte Eckzahn zur Hälfte abgebrochen. Außerdem hatte ich aufgeplatzte Lippen. Ich hob mein Hemd und sah lauter blaue Flecken an meinem Körper. Was war mit mir los, wer hatte das getan? Ich konnte mich an nichts erinnern. Ich wusch mir das Blut aus den Nasenlöchern, dann ging ich zu meinen Eltern ins Schlafzimmer und weckte sie. Sie erzählten mir, sie seien am Vorabend um elf nach Hause gekommen, und ich hätte bereits in dem demolierten Zustand vor dem Fernseher gesessen. Mein ganzes Gesicht sei voller Blut gewesen. Auf die panische Frage meiner Mutter, was denn mit mir passiert sei, hätte ich geantwortet, alles sei in Ordnung, ich hätte mich nur «an einem rostigen Nagel entzündet». Dann sei ich ins Bett gegangen, als sei nichts gewesen.
    Ich kapierte gar nichts. Was war passiert, wo war ich in der Zeit zwischen 20 und 23 Uhr geblieben? Ich rief bei Jennifer an, die stocksauer war, weil ich sie versetzt hatte. Ich war nie bei ihr angekommen. Dann fuhr ich mit meiner Mutter zu der Stelle, an die ich mich zuletzt erinnern konnte, die Straße vor Jennifers Haus, die ich in der Abendsonne überquert hatte. Nirgends waren Spuren zu finden, auch auf dem Bürgersteig und im Graben nicht.
    Niemand konnte mir sagen, was mit mir passiert war. Es gab keine Zeugen, Spuren, Erinnerungen. Am unangenehmsten war mir der Gedanke, von irgendjemandem zusammengeschlagen worden zu sein, ohne dass es mir möglich war, ihn jetzt noch zu identifizieren. Er würde mich zu jeder Zeit beobachten können, jeder konnte es sein, ich wusste es nicht. Argwöhnisch betrachtete ich in den kommenden Wochen meine Umwelt. Wann gab sich der Täter zu erkennen, von welcher Seite und unter was für Umständen würde er das nächste Mal angreifen? War es ein Einzelner gewesen, oder musste ich mich vor der Bürgerwehr fürchten? Oder hatte mich vielleicht ein Auto frontal erwischt? Ich habe nie herausbekommen, was an jenem Abend passiert ist, aber auch Jahre später überfiel mich manchmal die angstvolle Ahnung, dass das Schlechte in meinem Leben aus ebendiesem Loch gekrochen ist.

Les Misérables
    In Schmalenstedt wohnten relativ viele eher wohlhabende Leute, es gab kein Elend, wenig Armut, den Leuten ging es gut. Trotzdem hatte natürlich auch unsere Stadt ihr Mini-Ghetto, einige Hochhäuser im Süden, in denen deutlich mehr Alkohol verarbeitet wurde, bei deutlich geringeren Mieten als im Rest der Stadt. Von hier kamen einige der härtesten Mitglieder unserer Gang. Unter anderem Heffer und Honk, von denen weiter oben schon die Rede war, als es um den gezuckerten Konsum ausgesuchter Spitzenweine ging. Honk kam aus sehr einfachen Verhältnissen, er hatte zu Hause oft Prügel bezogen und entwickelte sich mit fünfzehn zu einem außergewöhnlichen Schlägertalent. Er war klein und dünn und nicht gerade kräftig, aber Mut hatte er. Eines Tages erzählte er mir auf dem Marktplatz, wie sein Vater ihn mal wieder habe schlagen wollen. Er habe den Alten gewarnt, und als der nicht aufhörte, habe er ihn rückwärts durch die gläserne Wohnzimmertür geprügelt. Von da an ließ sich Honk von niemandem mehr etwas sagen. Er war eine Gestalt aus «Nordsee ist Mordsee», aus «Rocker», er war ein echter Prollpunk, ein Acer, ein unberechenbarer Irrer. Ich verstand mich gut mit ihm, und wir fuhren oft

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