Dorfpunks (German Edition)
Gnade, der Kindergarten.
Wir Punks sahen gar nicht ein, warum die Grafen ein Privileg auf die Jagd und die Tiere unseres Landes haben sollten. Also brachen wir im Sommer in die abgezäunten Waldgebiete ein, in denen die Rebhühner gehalten wurden, und gingen selbst auf die Jagd.
Einmal waren Piekmeier, Flo und ich am Wochenende zusammen auf Pirsch. Wir hatten eine alte Trapperpfanne dabei und einige Messer, mit denen wir uns Speere schnitzten. Wir trugen Bundeswehrklamotten und sahen wie hinterwäldlerische Militaristenspinner aus. So durchforsteten wir die Gegend, immer darauf bedacht, nicht vom Förster erwischt zu werden. Schon bald stießen wir auf einige Rebhühner. Wir kamen ziemlich nah an sie ran, nah genug, um unsere Speere auf sie zu schleudern. In panischem Gegacker stoben die Vögel auseinander. Ich erwischte eins, aber leider verletzte ich es nur, es war nicht tot. Piekmeier meinte, ich müsste dem Vogel die Gurgel umdrehen. Das versuchte ich auch, aber irgendwie klappte es nicht, und das Huhn in seiner Todesangst riss mir mit seinen Krallen die Handgelenke auf. Dieser ungleiche Kampf dauerte eine Ewigkeit. Schließlich hielt ich das Tier auf den Boden und trat ihm so lange mit dem Stiefel auf den Kopf, bis es tot war. Das war ein Scheißgefühl. Ich hatte noch nie zuvor ein größeres Tier mit meinen eigenen Händen umgebracht, und ich hatte es mir leichter vorgestellt. Das Huhn tat mir Leid, wie es so vor mir lag und den Kampf verloren hatte. Es hatte wirklich gekämpft für sein Leben. Es hatte mir Respekt abgefordert, jetzt habe ich das Recht, es zu essen. So zumindest stellte Ted Nugent sich das vor. Ich malte mir aus, wie es wäre, wenn Kindergesichtmosaikpastete genauso streiterisch für ihr Leben eintreten müsste, eine Armee von clownsgesichtigen Wurstscheiben, die über deutsche Kinder herfallen würde. Damit die auch wüssten, was sie da essen.
Wir versteckten unsere Beute und gingen nach Hause. Abends fuhren wir erneut zum Gehege, holten das Huhn und fuhren zu der Feuerstelle am Funkturm im Wald. Dort rupften wir den Braten, nahmen ihn aus und legten ihn in die Trapperpfanne. Als er durch war und wir anfingen, ihn zu essen, kam es mir so vor, als hätte ich noch nie etwas Besseres gegessen. In dem Moment, mit Sand zwischen den Zähnen und dem ungesalzenen, zähen Fleisch im Mund, war ich stolz.
Gewildert wurde des Öfteren. Meine Eltern waren seit vielen Jahren mit der Familie Langmann befreundet, die aus Kalle und Katharina Langmann und deren Kindern bestand. Sie lebten in einem wunderschönen alten Bauernhaus, mitten in den Rapsfeldern, zu dem eine alte, schnurgerade Allee führte. Dort verbrachte ich viele Sommertage meiner Kindheit, ich fuhr mit meinem Bonanzafahrrad alleine hin, um mich mit Karsten und Barbara zu treffen und mit ihnen durch die Felder zu streunen. Kalle war so etwas wie der Alexis Sorbas unserer Gegend, eine unbremsbare Lebensmaschine, ein slawischer Yeti, alles, was sie brauchten, produzierte er selbst, er nähte seine Kleider, seine Stiefel und Hüte, baute mit Katharina jedes Gemüse und Kraut an, das man verzehren konnte, hielt Tiere und war dazu auch noch Maler und Bildhauer. Obwohl er darauf Wert legte, dass er sein Leben lang Knecht gewesen sei und Katharina Magd, kamen sie mir doch freier vor als fast alle anderen Erwachsenen, die ich kannte. Kalle war mittelgroß, ein richtiger Bulle, er trug stets einen alten blauen Overall und dazu Lederstiefel. Ein großer Schnurrbart zierte sein wildes Gesicht, dem ein paar Zähne fehlten, und einen räuberhaften Unterbiss hatte er auch. Er sah grimmig aus. Wenn er über die Felder ging und dort einen besonders schönen Findling entdeckte, holte er sein Werkzeug und fing an, den Stein zu bearbeiten. Dann blieb nach wochenlanger Arbeit eine nackte steinerne Frau allein auf dem Acker zurück. Wenn mal nicht genug zu essen für die Kinder da war, mussten Kalle und Katharina los, um Essbares zu besorgen. Sie stiegen in die Wildgehege ein. Einmal suchten Kalle und Katharina die ganze Nacht, zu Hause gab es nichts mehr zu beißen, die Vorräte waren aufgebraucht. Schließlich kamen sie zu einer Tränke am Fluss, und dort stand eine Kuh am Wasser. Kalle sah seine letzte Chance darin, die Kuh zu schlachten. Er stellte sich neben sie und schoss ihr mit der Flinte, die er dabeihatte, in den Kopf. Zwar war die Kuh sofort tot, jedoch fiel sie so unglücklich, dass sie Kalle mitriss und ihn unter sich im Fluss begrub. Nur seinen Kopf
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