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Dorfpunks (German Edition)

Dorfpunks (German Edition)

Titel: Dorfpunks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
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dreißig Stück existierten, musste es ja wohl etwas Ordentliches sein. Das war jetzt kein Gag mehr, da hatte jemand etwas Fassbares geleistet, es gab ja schließlich immerhin dreißig Stück davon. Am Freitagabend fuhr ich mit meiner gesamten Erstauflage zum Sachsenstein. Ich hatte etwas vorzuweisen. Ich hatte etwas ganz Neues dabei. Stolz packte ich die Hefte auf den Tresen. Die Hälfte verkaufte ich für eine Mark pro Stück an Punks und bärtige Lehrertypen, die andere Hälfte endete nach zwei Stunden, einigen Getränken und einer wischenden Armbewegung in der Bierschlacke vor dem Tresen.
    Aber ein Exemplar besitze ich heute noch: mein erstes selbst produziertes Kunstwerk.

Stars
    Manchmal lief im Radio Musik, die mir wirklich gefiel. Von den Mainstream-Stars mochte ich Bowie, Madness, ABC und Prince. Bowie wurde ständig gespielt. «Lets Dance» und «China Girl». Bowie war für mich auch eine Art Punk. Punk war für mich alles, was gut und anders war. Dann hieß es plötzlich, Bowie würde in Bad Segeberg spielen. Die «Glass Spiders Tour». Wir waren alle sehr aufgeregt und freuten uns auf dieses Spitzenereignis der Poprock-Openairsaison. Wenn ich hinter meiner Töpferscheibe auf die Kirchenmauer starrte und Radio hörte, dachte ich oft an Bowie oder Annie Lennox. Wie sich ihnen die Welt präsentierte und wie sie sich mir darbot. Und dass zu diesem toten Winkel hinter der Kirche nie jemand kommen würde, dass die Wahrscheinlichkeit eins zu einer Million stand, dass Iggy Pop zufällig eines Nachmittags an meiner Töpferei vorbeilaufen und nach einem Blick auf mich interessiert hereinschauen würde, auf einen kleinen Plausch über Popmusik oder Tonwiederaufbereitung.
    Eines Nachmittags, so um drei, ging die Tür der Töpferei, die Glocke klingelte, ich war gerade im Nebenraum. Ich kam nach vorne, um den Kunden zu begrüßen. Vor mir stand David Bowie. Er sah ganz anders aus, als ich ihn mir vorgestellt hatte, klein, etwas ausgehungert und mit einem sonderbar leeren Gesicht. Er trug einen Trenchcoat, Stiefeletten und eine Ray-Ban-Sonnenbrille in den Haaren. Erst schaute er in die Regale, sah sich unsere Töpferwaren an, dann stellte er sich vor die Töpferscheibe. Ich war ganz leise, wollte nicht aufdringlich wirken und den scheuen Superstar vertreiben. Das konnte doch nicht wahr sein. Woher wusste er, dass ich mich über einen Besuch von ihm freuen würde? Und was wollte er in Stelling in einer Töpferei? Wo waren seine Bodyguards? Was bedeutete das alles? Er schaute mich an und bat mich mit englischem Akzent, etwas für ihn zu töpfern. Ich setzte mich wortlos vor ihn hin und begann, einen Klumpen Ton auf der Scheibe zu zentrieren. Aus meinen Händen wuchs eine Vase, ich ließ sie steigen, gab ihr Form, sie wurde immer größer. Die Vase dehnte sich aus, wurde kraft meiner Arme zu etwas Ungebändigtem, Bowie tat einen Schritt zurück und leckte sich hungrig die Lippen. Ich ließ die Vase in den Raum wachsen, das Material hatte unendliche Kapazitäten, Ton umschloss uns, überall Ton, Musik aus stummer Erde. Bowie ließ sich umschlingen und ich mich ebenfalls. Der Ton presste uns zusammen und vergrub uns in sich.
    Ich bin mir im Nachhinein unsicher, ob diese Erinnerung der Realität entspricht oder ob sie einem Traumbild entsprungen ist. Es ist schon so lange her.
     
    Wenn «Musik für junge Leute» vorbei war, hatte ich wieder etwas Kraft und arbeitete ein bisschen, um wenigstens ein minimales Ergebnis vorweisen zu können. Die Chefin war zufrieden mit mir. Sie hielt mich für faul, war aber selbst kein Engel, irgendwie verstand sie mich.
    Um sechs fuhr ich mit dem um diese Zeit leeren Bus zurück nach Schmalenstedt. Kurz vor dem Ortseingang an einer Kreuzung stieg ich aus und ging die paar hundert Meter zu unserem Haus hinauf. Zu diesem Zeitpunkt waren meine Energien erneut auf einem Tiefpunkt angelangt, und wenn ich die Haustür öffnete, fror ich wieder ein. Meine Mutter begrüßte mich froh. Sie fragte mich jedes Mal, wie es auf der Arbeit gewesen sei. Ich schwieg sie stumpf an und brachte vielleicht drei muffige Worte heraus, während ich ihr Essen in mich hineinschlang, um mich danach möglichst schnell in mein Zimmer verdrücken zu können. Ich war wie der sprichwörtliche Alte, der von der Maloche nach Hause kommt. Ich glaube, ich wollte sie bestrafen. Dafür, dass ich ihren Plan leben musste. Und was sollte ich ihr berichten aus ihrem Plan? Sollte sie ihn doch selber erleben. Ich war damals sehr

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