Dorfpunks (German Edition)
sind schon im Bett, vielleicht mal die nächsten Tage oder so …», und legte schnell auf, bevor ich die Flüche am anderen Ende hörte.
Meine Gefühle nahmen nicht ab, sie wurden immer stärker. Ich bekam eine Ahnung von dem, was andere mir über die Liebe gesagt hatten. Und trotzdem erzählte ich Maria von den Zweifeln, die ich hatte, von der Unsicherheit. Von meinem Schuldgefühl gegenüber der Bewegung. Sie war traurig, sah keinen Grund für meinen Zweifel an unseren Gefühlen.
An einem Samstag war ich mit meinem Rennrad zu ihr gefahren und hatte den Abend bei ihr und ihrer Familie verbracht. Ihr Vater mochte mich, ich ihn auch, ich war ein willkommener Gast. Aber eine Übernachtung in seinem Haus war tabu. Also brachte ich Maria ins Bett, um dann nach Hause zu fahren. Als sie unter ihrer Decke lag und ich vor ihrem Bett kniete, stellte sie mich vor die Wahl: Ich sollte ihr sagen, was ich von ihr wollte. Wollte ich sie als Geliebte, Freundin, Genossin oder Trinkkumpanin? Oder als was sonst? Sie wollte Klarheit. Sie wollte einen Satz von mir hören, den ich noch nie gesagt hatte. Ich könnte gehen und es mir überlegen, sie würde das Fenster auflassen, und wenn ich ihr etwas zu sagen hätte, könnte ich nochmal zurückkommen. Ihr Fenster ging zum Garten. Ich verabschiedete mich, nahm mein Fahrrad, schob es auf die Straße, fuhr los, drehte um, fuhr im Kreis. Die Sterne funkelten über mir. Es war sehr warm, und ich setzte mich auf die Straße. Was wollte sie von mir? Was wollte ich von ihr? Wenn ich jetzt zurückginge, würde es Ernst werden, wenn ich jetzt wegginge, wäre es vorbei. Wem nützte es, wenn ich mir mein persönliches Glück verdarb? Niemandem. In Wahrheit hatte ich Angst. Vor der Entscheidung, der Ernsthaftigkeit, den Konsequenzen. Mein Herz pochte laut, ich lag auf dem Rücken, keine dreißig Meter von mir entfernt war der Mensch, mit dem ich am liebsten auf der Welt zusammen sein wollte, wusste nicht, wo ich war, wie ich mich entscheiden würde. War sie aufgeregt? Hoffte sie? Mir wurde klar, dass ich nicht gehen konnte. Ich konnte mich nicht von hier wegbewegen, mein Herz fand ein Bild, entschied sich in diesen Minuten und gab mir auch die geistige Klarheit. Natürlich wollte ich sie, sie und niemanden anders, nur sie, wie konnte ich bloß überlegen? Ich schlich zu ihrem Fenster, es war verschlossen. Vorsichtig ging ich zur Vordertür und drückte den Türgriff, hier war geöffnet. Auf Zehenspitzen schlich ich an der Schlafzimmertür ihrer Eltern vorbei, den Flur entlang und zu ihrem Zimmer. Ich betrat es und stand vor ihrem Bett. Das Zimmer lag im Dunkeln, aber das Mondlicht fiel auf ihr Gesicht. Sie hatte die Augen geschlossen. Ich beugte mich über sie, da öffnete sie die Augen und schaute mich an. Ich ließ mich auf die Knie nieder. Sie flüsterte: «Und, wofür hast du dich entschieden?»
Ich suchte nach den richtigen Worten und fand sie schließlich. Sie hatte sich aufgerichtet und schaute mir in die Augen. Sie hob die Bettdecke und zog mich an sich. Ich hatte das erste Mal seit einer Ewigkeit das Gefühl, zu Hause zu sein. Ich blieb die ganze Nacht.
Die Prüfung
Ich fuhr immer öfter nach Hamburg, da in Schmalenstedt so gut wie nichts mehr los war. Die meisten aus unserer Gang waren zu Hause ausgezogen und direkt nach St. Pauli geflattert, wohnten irgendwo auf dem Kiez. Ich beneidete sie. Wenn ich nach Hamburg kam, übernachtete ich entweder in der Seilerstraße bei Flo und Piekmeier oder in der Buttstraße bei Schorsch und Ted, die bereits länger in Hamburg wohnten. Neben der Wohnung der beiden war das Krawall/Totenschiff, die seinerzeit legendärste Punkkneipe von Hamburg, wir brauchten nur zwanzig Meter zu gehen, schon waren wir im Herzen der Ereignisse. Wenn ich zurückmusste aufs Land, fiel die Depression wie ein dunkler Vorhang über mich. Mein einziger Lichtblick war Maria. Für sie wäre ich überallhin gegangen.
Ihr Vater hatte die Idee, sie für ein halbes Jahr in den Schwarzwald zu schicken, wo sie in einem Kinderheim am Titisee in der Küche arbeiten sollte. Ich fand die Idee schrecklich. Gerade jetzt, zum Beginn unserer Liebe, wo alles so wundervoll war, sollte sie mir entrissen werden. Aber ich konnte nichts machen, denn sie wollte gehen.
Als sie abreiste, begann eine schlimme Zeit für mich. Ich fiel zurück in meine Starre, in meine Agonie, meine alten Depressionen. Ich war wieder ganz allein. Aber wir schrieben uns oft, immer sehr extravagante Briefe, ganze
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