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Dorfpunks (German Edition)

Dorfpunks (German Edition)

Titel: Dorfpunks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
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fürchterlich auf die Nerven. Kaum hatte ich sie zurückbekommen, da sollte ich sie auch schon wieder los sein. Aber was sollte sie schon in Schmalenstedt anfangen? Und ich konnte nicht einfach mitgehen, denn meine Lehre dauerte noch ein halbes Jahr. Sollte ich abbrechen? Meine Mutter beschwor mich, das nicht zu tun, drohte mir, befahl mir, jammerte mich an. Das könne ich nicht tun, ich würde mir alle Zukunftschancen verderben. Als wenn ich auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht hätte, den Rest meines Lebens Töpfer zu bleiben. Aber so gar nicht. Doch ihr zuliebe blieb ich in meinem Gefängnis. Während Maria ihre Sachen packte und nach Hamburg zog, in die Seilerstraße zu Flo und Piekmeier. Dort hatte sie ein kleines Zimmer, in dem ich sie so oft wie möglich besuchte.
    In Schmalenstedt war jetzt gar nichts mehr. Die meisten meiner Freunde waren weggezogen oder befanden sich in Beziehungen, die ein normales tägliches Kumpelrumgehänge nicht mehr erlaubten. Die Mädchen standen da sowieso nie so drauf, sie zogen sich ihre Typen aus diesen Jungshaufen und nagelten sie zu Hause fest. Auf jeden Fall gesünder, als in diesen Haufen zu bleiben, denn sie wurden durch einen Kitt aus Alkohol, Drogen, Nikotin, Video und Gewalt zusammengehalten. Wer aus den Jungshaufen ging, war der Verräter, wer blieb, war früher oder später allein. Ich hatte für einen Moment alles verloren und wartete nur noch darauf, dass meine Haft endlich zu Ende ging, dass ich endlich frei wäre, um meiner Liebe folgen zu können und dorthin zu gehen, wo die Action war.
    Grauhäutig riss ich die Tage ab, redete noch weniger mit meiner Mutter als vorher, hatte auch sonst kaum noch Austausch. Ab und zu spielten die Amigos auf einer Fete, und am Wochenende gingen wir natürlich auf den Sachsenstein. Dort fand ich spärliche Momente des Glücks am Boden von Guinnessgläsern.
    Das Frühjahr 1986 durchkroch zäh mein Leben, ich zählte die Tage rückwärts wie die Bundis ihren Wehrdienst. Schließlich nahte die Zeit meiner Abschlussprüfung an der Berufsschule. Sie sollte, wie alle meine Berufsschulblöcke, in Büsum stattfinden.
    Die Fahrt dorthin war immer ein Horrortrip, denn Bus und Bahn brauchten für die läppischen zweihundert Kilometer einmal durch ganz Schleswig-Holstein von Osten nach Westen, von unserer geliebten Ostsee an die bescheuerte Nordsee, sieben Stunden. Die erste Etappe war zugleich die schlimmste. Dieser Reiseabschnitt führte mich von Schmalenstedt mit dem Bus nach Stelling und von dort mit einem anderen Bus nach Neumünster. In Neumünster musste ich immer eineinhalb Stunden auf den Zug warten; zugleich war der Bahnhof der Lieblingsplatz diverser Skinheads und Schlägertypen, die in Neumünster im Knast gesessen hatten und in dieser grauesten aller Städte hängen geblieben waren. Es war äußerst riskant, sich dort als Punk aufzuhalten. Den Bahnhofskiosk konnte man zwar vorwärts gesund betreten, aber nur rückwärts und zahnlos wieder verlassen. Kleine Skintrupps checkten gelegentlich den Vorplatz ab. Ich trug zwar zur Tarnung eine Pudelmütze, aber bei genauerem Hinschauen war ich dennoch sofort als Punk zu erkennen. Meine einzige Rettung war ein Wienerwald in der Eingangshalle, der zwar für mich viel zu teuer war, aber dafür einigermaßen sicher. Widerwillig bezahlte ich das Schutzgeld für die Bockwurst und setzte mich in die hinterste Ecke. Ich hatte meinen Aufenthalt auf die Minute getimt, und wenn der Zug kam, sprang ich aus dem Restaurant, spurtete zum Bahnsteig und hüpfte in den Zug. Mit diesem musste ich nun nach Elmshorn fahren. Von hier aus ging ein Überlandbus nach Heide. In Heide wiederum stand der Zug, der nach Büsum fuhr. Dieser hatte den Nachteil, dass er oft und vor allem in den Abendstunden, wenn ich ankam, mit Rotärschen, also Jungsoldaten, überfüllt war. Das war natürlich meistens ein Spießrutenlauf, denn wer immer Auffälliges sich an so einem Abteil voller Uniformierter vorbeibewegte, wurde mit einem Hagel von Gehässigkeiten überzogen, sie spuckten ihren Frust und ihre ererbte und beim Heer eingebimste Spießigkeit einem wie mir aggressiv entgegen. Wenn sie mich nicht bemerkten, war es interessant, ihren Gesprächen zuzuhören.
     
    A: Eh, Aller, wie geht’s dir denn?
    B: Ach Scheiße, Aller.
    A: Ja, warum denn?
    B: Ja, mein Vadder iss grade gestorben.
    A: Ouha, hauaha …
    B: Tja.
    A: … Hm.
    B: …
    A: Also, dass sone Scheiße passieren muss, nä?
    B: Ja, echt Scheiße …
    A: Aber

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