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Dorn: Roman (German Edition)

Dorn: Roman (German Edition)

Titel: Dorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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wie sie Serion und Pelikor gut zu Gesicht stand. Das Rauschen wurde lauter, das flammende Geschoss war nun gut zu sehen, in der viele Dutzend Schrittlängen beschreibenden Parabel, die es in der Luft zurücklegte. Dann schlug es ein, zerplatzte und trug sein Feuer in die Stadt. Weitere Geschosse folgten. Dutzende. Hunderte. Sie erglühten am Nachthimmel wie viel zu große Sternschnuppen und gingen todbringend auf die Stadtviertel Anselieths nieder, die in Reichweite lagen. Hektik brach dort unten aus und es war beinahe unerträglich, die verzweifelten Schreie derer zu hören, die getroffen wurden, oder die darum kämpften, die Brände unter Kontrolle zu bringen.
    Erdulden. Eklipto von Pantus hatte befohlen, den zermürbenden Geschosshagel zu erdulden. Einfach zu ertragen und über sich ergehen zu lassen. Wasser war in vielen Hundert Fässern bereitgestellt worden und jeder in Zivil bemühte sich nach Leibeskräften, die Brandherde einzudämmen. Zumindest von hier oben betrachtet, schien dies auch zu gelingen.
    »Es ist bitter«, meinte Leonhrak neben mir. »Aber dieser Eklipto weiß was er tut.«
    Ich konnte nur nicken und mit untätigem Entsetzen weiter auf das Bild des Schreckens unter mir starren.
    Tatsächlich behielt Eklipto recht. Der Beschuss endete etwa zwei Stunden, nachdem er begonnen hatte. Die Brände waren allesamt unter Kontrolle. Seine Voraussage war jene gewesen, dass Gramenfeld und Gamar im Tross zwar Kriegsmaschinerie mitgebracht hatten, aber nicht so viel, wie sie in der Lage gewesen wären zu tragen, und zudem mussten sie an Munition gespart haben – beides, um ihren Zug nach Anselieth zu beschleunigen. Offenbar traf es zu. Der Geschosshagel sollte Angst schüren. Aber wie Eklipto richtig erörtert hatte, war es unmöglich, Anselieth durch Beschuss einzunehmen. Dazu waren die Mauern viel zu dick und zu hoch. Der zweite Angriff würde bei Tagesanbruch beginnen. Unsere Feinde würden versuchen, mit Leitern die Mauern zu erstürmen, in der Hoffnung, dass sich schon am ersten Tag irgendwo eine Lücke in unserer Verteidigung auftun würde. Wenn wir die ersten Tage überstanden, würde es schlimmer werden. Denn ihre Ingenieure würden genug Zeit haben, mitgebrachte Belagerungstürme zu errichten, die weitaus effektiver für das Erklimmen von feindlichen Mauern waren, als Leitern. Wobei auch Leitern bei genügender Zahl eine erhebliche Bedrohung darstellten.
    Auch würde im Laufe der Zeit die Bemannung der Mauern aufgrund der Zahl von Toten und Verwundeten von drei auf zwei Schichten umgestaffelt werden müssen. Die Kunst war, möglichst lange durchzuhalten und darauf zu hoffen, dass die Truppen aus Lilienbach sowie die Harjenner sich beeilten und uns zur Hilfe kamen, bevor alles endete.
    »Lass uns versuchen, noch einige Stunden Schlaf zu bekommen«, knurrte Leonhrak, der genau wusste, dass ich wohl kein Auge würde zu tun können, während in der Stadt unten Tod und Verderben miteinander tanzten. Er wusste auch, dass ich mich aus reinem Pflichtbewusstsein doch für einige wenige Stunden hinlegen würde, lauschend und zuckend bei jedem Schrei, der aus der Ferne an meine Ohren dringen würde. Ich war nicht so hart wie die Nordleute, die das Leben als ein stetes Treiben auf dem Strom des Schicksals interpretierten. Sie konnten schlafen, wenn es keine Alternative gab. Ich nicht – an mir nagte stets das Unerträgliche der Hilflosigkeit.
    Am Morgen ging es mir nicht besser, im Gegenteil. Der Orden hatte zivil geführte Essensausgaben für die Truppen organisiert. Und auch für die Führungsriege gab es so etwas wie eine Essensausgabe.
    Unruhig schritt ich einen Wehrgang der Festungsanlagen des Palastes ab, während ich lustlos an einem Kanten Brot und etwas Käse knabberte. Der Sommermorgen kam grau daher – Rauchschwaden hingen über weiten Teilen der Hauptstadt und tauchten das sonst so strahlend wirkende Antlitz der Stadt in Aschefarben. Gamar und Gramenfeld hatten mit ihrem Sturm auf die Stadt begonnen. Kriegsgetümmel, das Klirren von Metall auf Metall, Schlitzen, Knochenbrechen, all das trugen Wind und Rauch mit sich. Und Schreie, viele und laute Schreie – vor Schmerz, Wut, Zorn, Übermut oder Verzweiflung. Es war keine gute Zeit, um etwas zu Essen zu sich zu nehmen. Niemandem war danach zumute. Aber es half nichts. Wir mussten essen, Friedhofsstimmung hin oder her. Und dann hieß es warten. Warten und ertragen, bis zum Nachmittag.
    In der Rüstkammer des Palastes wurde mir auf Ellyns Geheiß

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