Dorn: Roman (German Edition)
Elbenmädchen vielleicht auch egal war, weil es in seiner ganz eigenen Wahrnehmung schwelgte. Überhaupt kam ich mir nach den wenigen Stunden unserer Bekanntschaft vor, als müsse ich für jedes Wort dankbar sein, das dieses fremde Wesen von sich gab.
Wir bogen in Richtung eines kleinen Waldes ein. Hier war es. Wenn man dem Pfad folgte, kam man hinunter bis in die Dünen. Dort stand ein kleines Häuschen, etwas robuster als bloß eine Hütte, das von genau der einen Person bewohnt wurde, die Lia und ich zu sprechen begehrten.
Wir stiegen ab und führten die Pferde an den Zügeln durch die Dünen. Der Frühjahrswind blies heftig und trug die Gerüche von Salz und Sand mit sich. Ja, das hier war Falkenberg, wie ich es kannte. Meine Heimat in den grünen Auen und dichten Tannenwäldern, direkt zwischen Gebirge und Meer.
»Lemander?«, rief ich laut, als wir nah genug heran waren. Er musste da sein, denn der Wind verwirbelte Rauch, der aus dem Schornstein kam. Das Häuschen war beschaulich. Aus Bruchstein erbaut, aber gekittet mit einem interessanten Mörtel, der zu großen Teilen aus Muscheln bestand. Ihre spitzen und abgebrochenen Schalen, stachen überall aus den Seitenwänden heraus. Ich wusste nicht, wie er die Steine hierhergeschafft hatte – möglicherweise hatte er andere Leute gut dafür bezahlt.
»Lemander?«, rief ich wieder.
Die Antwort war der schrille Schrei eines Falken, der sich vom Himmel stürzte und mit wenigen Flügelschlägen elegant auf dem Dachfirst landete. In den Krallen hatte er etwas Kleines gefangen. Ich konnte nicht genau erkennen, was es war, wollte es aber auch eigentlich nicht wissen, denn der Raubvogel begann, seine Beute mit Begeisterung in Fetzen zu reißen und zu vertilgen.
Dann ging die Haustür auf und Lemander kam heraus. Ein Mann von vielleicht sechzig Sommern, vielleicht etwas mehr. Schulterlanges, graues Haar umwehte ein säuberlich glatt rasiertes Gesicht. Ein langes Wollgewand, durchsetzt mit ledernen Schnüren und Bändern begann, im Wind zu flattern. Diverse kleine Taschen und Beutel hingen an seinem Gürtel.
Doch Lemander interessierte sich nicht sonderlich für uns Neuankömmlinge. Stattdessen lief er ein paar Schrittlängen rückwärts aus dem Haus, bis er mit dem Kopf in den Nacken gelegt, den Falken erspähen konnte.
»Hallo, meine Liebe«, rief er zu dem Tier hinauf. »Schön, dass du dich in diesen Tagen mal wieder blicken lässt.«
Das angesprochene Falkenweibchen quittierte die Begrüßung mit einem kurzen Schrei, bevor es sich wieder mit scharfem Schnabel seiner Beute widmete. Ich spürte, wie sich die Soldatinnen in meinem Rücken verwundert ansahen, wahrscheinlich sogar verlegen am Kopf kratzten. Lia hingegen war begeistert von dem Mann, der uns erst einmal nicht beachtete …
… bis ich mich sehr laut und vernehmlich räusperte.
»Oh, fühl dich gegrüßt, Deckard, Herr von Falkenberg«, empfing mich Lemander beiläufig, während er sich zu uns umdrehte. Natürlich hatte er uns kommen hören.
»Was ist dein Begehr?«, wollte er ganz unvermittelt wissen.
Das war so seine Art, erinnerte ich mich grob an unser letztes Aufeinandertreffen.
»Zu wissen, was dieses Mädchen hierher führt«, sagte ich also ohne Gruß, ohne Umschweife und – so hoffte ich – ohne Widerrede zuzulassen.
Der Falkenfreund machte ein geradezu entzücktes Gesicht.
»Eine Elbin«, rief er aus. Er raffte seinen langen Mantel und stakste mit seiner beinahe dürren Gestalt so schnell herüber, wie er nur konnte, um Lia die Hand zu reichen.
» avana dana bor vimia ammavynnen «, begann er praktisch im Plauderton auf sie einzureden. Lange Zeit habe ich keine Elben mehr gesehen .
»Bitte«, fuhr ich genervt dazwischen. »Können wir die elbische Sprache vielleicht außen vor lassen? Sie kann genau so gut-«
»Werter Graf«, unterbrach Lemander mich (er wusste, dass er es durfte), »ich wollte nur höflich sein. Schließlich ist sie mehr oder weniger Gast. Hoffe ich doch zumindest.«
Erwartungsvoll blickte er zwischen mir und Lia hin und her.
Ich erwiderte nichts, sondern gab die Zügel meines Pferdes an die Soldatinnen weiter.
»Wartet bitte hier«, bat ich sie. Dann wandte ich mich wieder dem Alten zu, der mich mit dem Schein einer verschmitzten Überlegenheit ansah, die mir unangenehm war.
»Ich brauche deine Hilfe. Nein«, verbesserte ich mich. » Wir brauchen deine Hilfe.«
»Immer zu Diensten«, flötete er. »Darf ich euch in mein bescheidenes Heim
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