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Dorn: Roman (German Edition)

Dorn: Roman (German Edition)

Titel: Dorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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Süden, nach Quainmar. Ich brauche jemanden, der mich dorthin begleiten kann. Jemanden, der mich beschützen kann.«
    Während sie diese Worte langsam und deutlich sprach, sah sie mich an. Und in ihren meerblauen Augen sah ich bedeutungsschweren Ernst.
    Dieses Mädchen suchte verzweifelt nach Hilfe. Und ich wusste nicht, wie ich sie ihr gewähren sollte. Ich hatte ja noch nicht einmal eine Ahnung, was ich von ihrer Geschichte halten sollte. Die Stimmen der Elben waren in diesen Kugeln eingesperrt? Wie war das möglich? Magie konnte kaum so stark sein. Die wenigen Magier, die ich bisher gesehen hatte, waren nicht mehr als Scharlatane gewesen. Sie konnten ein paar Funken aus den Händen sprühen lassen, mehr aber auch nicht. Die großen Geheimnisse, die an der Universität von Niebenheim gelehrt wurden, waren nicht mehr als ein paar Kindereien für einige sehr betuchte Leute, die sich Gelehrte nannten.
    Aber das, was Lia hier erzählte, widersprach dem völlig. Und doch hatte ich die Nollonin gesehen, hatte gespürt, welche Anziehungskraft von ihnen ausging. Sie waren unheimlich. In höchstem Maße unheimlich. In ihrer Gegenwart spürte ich etwas, das mir völlig fremd war.
    »Dein Volk ist stumm, sagst du?«, wiederholte ich, um mich zu vergewissern.
    Lia nickte. »Ihre Stimmen befinden sich in einem der Nollonin.«
    Sie deutete mit zitterndem Finger auf die drei Kugeln.
    Ich versuchte einen kühlen Kopf zu bewahren, obwohl mir äußerst unwohl war.
    »Lemander«, wollte ich wissen. »Ist es möglich, was sie sagt? Ist das alte Magie?«
    Doch auch Lemander hatte viel gedacht in den jüngsten Augenblicken. Und er war regelrecht bleich geworden dabei.
    Dann zuckte er die Schultern.
    »Ich weiß es nicht«, gab er zu. »Ich weiß es wirklich nicht.«
    Es dauerte vielleicht eine halbe Stunde, bis ich mich wieder völlig in der Gewalt hatte. Lemander wirkte ähnlich überwältigt. Als die Wirkung der Nollonin schließlich nachließ, erhob Lia behutsam ihre Stimme: »Und? Bekomme ich eure Hilfe?«
    Schweigen herrschte in unserer Runde. Ich hörte die Möwen draußen und drinnen klapperte irgendetwas – vermutlich ein alter Fensterladen im Küstenwind.
    Es war nicht einfach. Die Geschichte, die Lia uns aufgetischt hatte, besaß ihren Reiz. Aber ob ich ihr glauben konnte? Möglicherweise hatte das Mädchen nur einen Schlag auf den Kopf bekommen.
    Auf der anderen Seite sprachen der Häscher Schekich und die augenscheinliche Magie dieser eigenartigen Nollonin-Kugeln dafür, dass etwas an ihrer Geschichte dran war.
    Doch konnte ich unmöglich so mir nichts dir nichts in Richtung Quainmar aufbrechen, und schon gar nicht einige meiner Gardisten abstellen, um eine junge Elbin durch das halbe Eherne Reich bis nach Hause zu eskortieren. Nein, ich musste die Dinge erst ordnen. So schwer es mir fiel, ich hatte Verpflichtungen nachzugehen. Die Verantwortung war zu groß. Zumal ich nicht wissen wollte, was man im Reich in Abwesenheit der Familie von Falkenberg (besser gesagt ihres einzigen verbliebenen Sprosses) politisch so alles beschloss. Nein, ich musste mein ganzes Gewicht in die Waagschale werfen.
    Also verkündete ich rigoros meine längst getroffene Entscheidung.
    »Zunächst einmal, werdet ihr beide mitkommen nach Anselieth«, erklärte ich bestimmt. »Ich muss dorthin. Kein Weg führt daran vorbei. Und wenn ihr bei mir seid, finden wir vielleicht schneller eine Lösung.«
    Beide sagten nichts. Lia sah abwesend im Haus umher. Lemander nickte, wobei er das Gesicht verzog, um sich seinen Widerwillen deutlich anmerken zu lassen. Ich hatte keine Zeit für Spielchen. So sehr es mir auch missfiel, ich musste meine Autorität als Lemanders Herr ausspielen.
    »Verzeih mir, Lemander. Das kommt sehr plötzlich«, sagte ich. »Aber ich denke, ich brauche dich um ihretwillen.«
    Wie gut die Idee wirklich war, ihn mitzunehmen, wusste ich nicht. Aber außer mir brauchte Lia irgendeine weitere Person, zu der sie Vertrauen fassen konnte. Denn wenn wir einmal in der Hauptstadt waren, würde ich kaum noch Zeit für sie haben.

Kapitel 3
    Der tiefe Wald, der Sand und das Salz
    Schekich ließ sich in der kommenden Nacht nicht wieder blicken. Trotzdem schlief ich mehr als unruhig. Meine Begegnung mit ihm brannte auf meinem Geist wie heißes Feuer auf der Haut.
    Bei Anbruch der Dämmerung, noch vor dem ersten Hahnenschrei hielt ich es nicht mehr aus. Ich schälte mich aus der verschwitzten Decke und taumelte zur Wasserschüssel, um mein Gesicht

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