Dorn: Roman (German Edition)
machen.«
Ich nickte behutsam.
»Ich dachte, ich frage einfach mal, wie es so ist zu regieren.«
Diesmal versuchte ich, meine Verwunderung besser zu verbergen.
»Wieso … fragst du das nicht deinen Vater?«
»Mein Vater ist nicht König.«
»Das bin ich auch nicht.«
»Aber du machst gerade dessen Arbeit.«
»Anstrengend.«
»Wie bitte?«
»Ich sagte, es ist anstrengend, die Amtsgeschäfte zu übernehmen. Es ist viel Papierkram, ich muss viel, oft und lange diversen Verfahren zuhören, die vor Gericht aufgelaufen sind, nachdem Hroth verstorben ist …«
»Aber du tust, was du tun musst.«
Ich hielt inne. Was wusste diese Frau über mich? Oder was meinte sie über mich zu wissen? Und was sollte dieses Gefrage überhaupt? Natürlich tat ich, was ich tun musste. Das war womöglich eine meiner größten Stärken und Schwächen zugleich.
»Du bist doch noch lange nicht zur Königin gewählt«, sagte ich. »Was macht dich also dermaßen sicher, dass du überhaupt in die Verlegenheit kommst?«
»Ich wäre gerne Königin«, sagte sie frei heraus.
Warum verwunderte mich das? Vielleicht, weil ich es eben nicht wollte. Oder weil ich automatisch glaubte, jeder Kandidat im Konklave wäre nur eine geschickt platzierte Figur auf dem Spielfeld, wie beim Königsturm-Spiel.
»Aber wieso?«, hakte ich nach.
»Vielleicht bin ich ja anders als mein Vater?«
»Aber dein Vater unterstützt deine Wahl«, gab ich zu bedenken. »Er muss auch wollen, dass du Königin wirst.«
»Natürlich will er das. Aber für ihn ist es vorwiegend eine taktische Überlegung. Ihn selbst würde man nicht zum König wählen. Dafür hat er es sich im Laufe der Zeit mit zu vielen Leuten aus dem Konklave verscherzt. Außerdem hat er ja noch meinen Bruder Timerion, der ihn in Gamar beerben kann. Würde ich tatsächlich Königin, hätte er in der Folge den Einfluss Gamars auf ein Maximum ausgedehnt.«
Also doch! , verfluchte ich mich innerlich. Sie wollten alle nur den eigenen Vorteil suchen.
»Womit mein Vater aber nicht rechnet«, fuhr sie jedoch fort, »ist die Tatsache, dass ich nicht vorhabe, seine ureigenen Interessen als Herrscherin über das Reich durchzusetzen. Das Reich kommt so, wie es ist, gut zurecht.«
Das überraschte mich. Ich warf ein: »Wenn das Reich denn noch lange Bestand hat.«
»Natürlich hat es das«, betonte Ellyn eifrig. »Es wäre dramatisch, wenn es nicht fortbestehen würde. Allein die wirtschaftlichen Vorteile sind immens.«
Sieh einer an , dachte ich bei mir. Hinter Serions bildhübscher Tochter steckte also viel mehr Einsicht und weltmännisches Geschick, als ihr Vater in all seinen langen Jahren der Herrschaft in Gamar hatte durchblicken lassen.
»Und aus dem Norden Gamars wegzukommen, wäre ein sehr positiver Nebeneffekt. Es ist saukalt da oben«, grinste sie.
Diesmal musste ich zurückgrinsen. Es war erfrischend. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dies in Gegenwart Serions je getan zu haben.
»Vielleicht habe ich ja Glück«, meinte sie. »Und für diesen Fall wollte ich wissen, wie es so ist, als junger Mensch zwischen all den alten Adeligen zu stehen und zu regieren.«
Ich zuckte mit den Achseln.
»Wie gesagt, bisher ist es eher anstrengend.«
»Hm«, machte Ellyn. »Und wie war es all die Jahre zuvor?«
»Wie zuvor?«
»Na, du bist immerhin Markgraf von Falkenberg. Und wenn ich die Chroniken richtig verstehen, bist du das bereits seit deinem zwanzigsten Sommer.«
Das stimmte und es war mein empfindlicher Punkt. Aber sie redete unbeirrt weiter.
»Es ist beeindruckend, in diesem Alter ein ganzes Fürstentum des Ehernen Reiches unter sich zu haben und-«
»Ich habe kein Fürstentum unter mir«, unterbrach ich sie so sanft wie möglich. »Und vielleicht erzähle ich dir ja, wie es ist, als junger Mensch unter Aasfressern zu leben, die nur darauf warten, dass etwas für sie vom Tisch fällt. Aber das tue ich sicher nicht heute.«
Enttäuscht senkte sie den Kopf.
»Entschuldige«, sagte sie, »ich wusste nicht, dass …«
»Ist schon gut«, ermunterte ich sie. »Du kannst nichts dafür, wie dein Vater ist. Aber das ändert nichts daran, dass er mich häufig hat spüren lassen, dass ich seiner nicht würdig bin.«
»Das ist sicher unangenehm.«
»Ich nehme es nicht so persönlich, aber es strengt einen über die Jahre einfach sehr an, weißt du?«
»Wer könnte das besser wissen als ich?«
Ich lächelte milde.
»Was hältst du davon, wenn du morgen einfach noch einmal zum Abendessen
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